Farben der Sehnsucht
über den Rasen joggte und genußvoll die salzige Meeresluft einatmete, die ihr so vertraut war. Die ruhigen Wellen umspülten den Sand zu ihren Füßen, und wie immer versetzten sie die umherkreisenden Möwen, deren Kreischen in ihren Ohren wie Musik klang, in gute Laune.
Der Himmel über ihr war strahlend blau, aber eine leichte, kühle Brise trieb auch ein paar dicke weiße Wolken vor sich her. Zu ihrer Linken lag das weite, endlose Meer, das so schön, majestätisch und unbezähmbar wirkte, daß es sie wie immer mit tiefem Respekt erfüllte. Zu ihrer Rechten lagen die luxuriösen Villen der Reichen von Palm Beach, und einige davon waren sogar noch größer als die ihres Vaters. Trotz der frühen Stunde schienen überall schon die ersten Morgenaktivitäten im Gange zu sein: Hier jätete jemand ein Blumenbeet, dort säuberte jemand eine Veranda oder einen Swimmingpool, und auf den meisten Grünflächen standen Rasensprenger, die ihr kühles Naß über das Gras ergossen, auf dem die Wassertropfen glitzerten wie Edelsteine.
Immer wieder wanderte Sloans Blick über das Meer, während sie ungefähr vier Meilen am Wasser entlangjoggte und sich dann zum Umkehren entschloß. Sie hielt ihr Tempo, bis die kleine Flagge auf dem Golfplatz ihres Vaters in der Ferne sichtbar wurde; dann fiel sie in einen entspannten Trab. In Palm Beach schlief man anscheinend länger als in Bell Harbor, denn in der ersten halben Stunde hatte sie den Strand ganz für sich gehabt, und erst jetzt tauchten ein paar andere Jogger auf. Die Leute hier schienen auch weniger freundlich zu sein, da sie den Blickkontakt scheuten und einander nicht wie bei ihr zu Hause mit einem Nicken oder einem Lächeln begrüßten.
Plötzlich fiel Sloans Blick auf einen älteren Gärtner in einem langärmeligen Hemd, der ein Blumenbeet am Rande eines Anwesens bearbeitete. Als er aufstand, griff er auf einmal nach seinem linken Arm und klappte nach vorne zusammen. Während Sloan auf ihn zurannte, blickte sie sich automatisch nach eventuellen Helfern um, doch in unmittelbarer Nähe konnte sie niemanden entdecken.
»Seien Sie ganz ruhig«, sagte sie sanft, als sie bei dem Mann angekommen war. »Ich werde Ihnen helfen. Stützen Sie sich nur auf mich.« Sie schlang ihren Arm um seine Taille und fragte sich, ob er es bis zu der eisernen Bank, die sich um den Stamm eines nahen Baums schmiegte, schaffen würde. »Was tut Ihnen denn weh?«
»Mein Arm«, stöhnte er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Haben Sie auch Schmerzen in der Brust?«
»Nein. Meine Schulter ist... operiert worden.«
Sloan war erleichtert, daß es sich offensichtlich nicht um einen Herzinfarkt handelte, und führte den Mann vorsichtig hinüber zu dem Baum, wo sie ihn auf die Bank niederließ. »Atmen Sie tief ein, und lassen Sie den Atem dann langsam wieder ausströmen«, wies sie ihn an. »Haben Sie irgendwelche Medikamente gegen die Schmerzen?«
Er folgte ihrem Rat und atmete tief ein und aus. »Ich werde gleich okay sein... in einer Minute.«
»Lassen Sie sich Zeit. Ich habe keine Eile.«
Nach ein paar weiteren Atemzügen hob der Gärtner den Kopf und sah Sloan an, und sie bemerkte sofort, daß seine Gesichtsfarbe sich schon gebessert hatte. Er war etwas jünger, als sie gedacht hatte - Ende Sechzig vielleicht -, und sah tief bekümmert aus, als er nun sagte: »Ich habe mich beim Aufstehen versehentlich auf den linken Arm gestützt. Meine kaputte Schulter fühlte sich an, als wolle sie explodieren.«
»Wann war denn Ihre Operation?«
»Letzte Woche.«
»Letzte Woche! Sollten Sie dann nicht eine Armschlinge oder so tragen?«
Er nickte. »Ja, aber damit kann ich meinen Arm nicht gebrauchen.«
»Es könnte doch sicherlich jemand Ihre Arbeit hier übernehmen, während Ihre Schulter heilt und Sie vielleicht unterdessen leichtere Aufgaben erledigen.«
Er starrte sie an, als sei er noch nie auf eine so faszinierende Idee gekommen. »Welche Arbeit soll ich denn sonst machen?«
»Dies muß eines der größten Anwesen in Palm Beach sein. Es muß doch hier irgend etwas weniger Anstrengendes zu tun geben. Sie sollten mit dem Hausbesitzer sprechen und ihm Ihre Lage erklären.«
»Er weiß das mit meiner Schulter doch schon. Und er meint, ich solle überhaupt nichts machen, bis sie geheilt ist.«
»Er hat Ihnen keinen leichteren Job gegeben?« fragte Sloan, die wütend war über die Gleichgültigkeit der Reichen gegenüber den Bedürfnissen ihrer Angestellten, die auf ihren geringen Verdienst
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