Farben der Sehnsucht
mit Paul Richardson abgesprochen hatte. »Oh, ich habe eine Menge Dinge studiert«, antwortete Sloan und versuchte, soweit wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben, um sich später nicht in Widersprüche zu verwickeln. »Ich konnte mich einfach nicht entschließen, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Daher habe ich mein Hauptfach ständig gewechselt.« Sie machte eine Pause, um einen Löffel von der Suppe zu nehmen, die man vor sie hingestellt hatte.
Ihre Urgroßmutter schien jedes Interesse am Essen verloren zu haben. »Wie waren deine Noten?«
»Ganz okay.«
»Bist du eine gute Innendekorateurin?«
Sloan fühlte eine gewisse Genugtuung, als sie sie korrigierte. »Innenarchitektin«, sagte sie bestimmt.
Paul Richardson kam ihr zu Hilfe, indem er Sloan mit einem stolzen Lächeln bedachte und sagte: »Ich finde, daß sie eine ausgezeichnete Innenarchitektin ist.«
Edith Reynolds blieb von seinem Kommentar ungerührt. »Alle Innendekorateure, von denen ich gehört habe, sind homosexuell«, verkündete sie. »Ich hatte gehofft, daß junge Frauen wie du und Paris in so unsicheren Zeiten etwas Vernünftigeres mit ihrem Leben anfangen.«
Sloan warf einen verstohlenen Blick auf Paris, um herauszufinden, wie ihre Schwester auf diese offene Kritik reagieren würde, doch deren Miene verriet keinerlei Regung. In ihrem roten Sarongkleid mit Mandarinkragen und mit ihrem dunklen, hochgesteckten Haar sah sie schön, exotisch und sehr beherrscht aus. »Welchen Beruf würdest du denn wählen?« fragte Sloan die alte Frau.
»Ich glaube, ich wäre eine gute Steuereintreiberin«, versetzte Edith. »Sicherlich würde ich meinen Job besser machen und mehr Steuersündern auf die Spur kommen als all die Steuerbeamten, mit denen ich es zu tun habe.«
»Leider hat Sloan keinen Kopf für Zahlen«, sagte Paul und tätschelte begütigend Sloans Hand.
»Was ist mit Sport?« fragte Carter. »Spielst du Golf?«
»Nein.«
»Tennis?«
Sloan spielte wohl Tennis, doch sie wußte auch, daß sie nicht seine Klasse hatte. »Ein bißchen, allerdings nicht sehr gut.«
Er wandte sich an Paul. »Spielen Sie, Paul?«
»Ein wenig.«
»Wir sollten uns morgen früh um neun zu einem Match treffen; Paris und ich werden euch trainieren. Du solltest auch ein paar Golfstunden nehmen, wenn du schon hier bist, Sloan. Paris ist eine hervorragende Golfspielerin.« Er sah seine ältere Tochter an. »Du könntest Sloan morgen nachmittag mit in den Club nehmen und ihr gleich ein wenig Nachhilfe erteilen.«
»Ja, natürlich«, erwiderte Paris sofort und schenkte Sloan ein kurzes, höfliches Lächeln.
»Ich mag Golf eigentlich gar nicht«, wandte Sloan ein.
»Aber nur, weil du nicht spielen kannst«, entgegnete Carter. »Hast du sonst irgendwelche Hobbys? Was machst du in deiner Freizeit?«
Sloan kam sich vor wie bei einem Verhör. »Ich, ähm... ich lese.«
»Was liest du denn so?« fragte er, offensichtlich enttäuscht über ihre Antwort.
»Zeitschriften«, rief Sloan, in der Absicht, seine Enttäuschung noch zu verstärken. »Meine Lieblingszeitschrift ist Haus und Garten. Findest du sie auch so interessant, Paris?«
Ihre Schwester schien etwas erschrocken über die persön-liche Anrede, und Sloan war überzeugt, daß sie log, als sie schnell erwiderte: »Ja, sehr.«
»Welche anderen Interessen hast du?« wollte Carter weiter wissen.
Die Fragerei dauerte Sloan schon viel zu lange. Sie war hungrig und brach ein Stück von ihrem Brot ab, während sie ihn mit großen Augen ansah. »Was meinst du?«
»Ich fragte, wofür du dich sonst noch interessierst, Politik, Kultur, was weiß ich?«
Sloan begann, ihr Brot mit Butter zu bestreichen. Sie senkte den Kopf, um ihr Lachen zu verbergen, als sie nun flötete: »Oh ja, ich interessiere mich sehr für Kultur. Ich sehe wahnsinnig gern fern, vor allem die Berichte über berühmte Persönlichkeiten aus dem kulturellen Leben. Es ist so aufregend, zu wissen, wer gerade mit wem eine Affäre hat oder wer sich von wem scheiden läßt... Findet ihr nicht?« fragte sie mit einem Gesichtsausdruck, der einer Unschuld vom Lande alle Ehre gemacht hätte. Als sie aber Noah Maitlands Blick begegnete und darin eine Mischung aus Hohn und Verachtung las, tat es ihr fast schon wieder leid, so übertrieben zu haben. Es war deutlich, daß er sie ein für allemal zur Idiotin abgestempelt hatte.
Offensichtlich hatte ihr Vater beschlossen, daß seine wiedergefundene Tochter sich nicht weiter blamieren und seine Gäste mit
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