Farben der Sehnsucht
ihrer Oberflächlichkeit langweilen sollte. »Wie sind die Aussichten auf dem Markt, was meinst du?« fragte er daher, indem er sich an Noah wandte.
Wenn Sara vom »Markt« sprach, meinte sie damit die zweimal jährlich erfolgende Einführung von neuen Produkten in Dallas und New York, die die amerikanischen Zentren für Innenarchitektur waren. »Auf dem Markt in Dallas überwogen dieses Jahr Rosa- und Goldtöne«, schaltete sich Sloan begeistert ein, wenngleich sie genau wußte, daß Carter den Börsenmarkt gemeint hatte. »In New York hingegen habe ich ein paar wirklich göttliche Drucke entdeckt, die...«
»Du und Paris werdet euch nachher noch viel zu erzählen haben«, unterbrach sie Carter Reynolds.
Mit einer Mischung aus Erleichterung, Vergnügen und Scham nahm Sloan zur Kenntnis, daß er ihr damit indirekt geboten hatte, den Mund zu halten. Sie war etwas besorgt, daß sie ihr Spiel zu weit getrieben hatte, doch als sie heimlich einen Blick auf Paul warf, grinste sie dieser breit an, was ihr wohl zu verstehen geben sollte, daß sie ihre Rolle noch besser spielte, als er erwartet hatte.
Sloan beschloß daraufhin, sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, sondern sich vielmehr auf ihr achtgängiges Menü zu konzentrieren und dabei der lebhaften Diskussion über die Weltwirtschaft zu folgen, die ihr Vater und Noah Maitland inzwischen begonnen hatten. Die beiden Männer hatten in einigen Punkten radikal unterschiedliche Meinungen, aber sie waren beide so gut informiert und eloquent, daß Sloan ihnen fasziniert zuhörte.
Zusätzlich zu der gesetzlichen Rentenversicherung, in die sie bei der Polizei einzahlte, steckte Sloan einen gewissen Prozentsatz ihres Gehalts in eine private Altersvorsorge, und sie hatte darauf bestanden, daß ihre Mutter ihrem Beispiel folgte. Als sie einige Zeit später mit ihrem Dessert fertig war, war sie von Noah Maitlands Ausführungen so überzeugt, daß sie heimlich beschloß, ihre Investitionsstrategie zu ändern.
Der letzte Dessertteller war noch nicht abgetragen, als Edith Reynolds schon nach ihrem Stock griff und sich mühsam aufrichtete. »Für mich ist es Zeit, zu ruhen«, verkündete sie.
Paul und Noah waren gleichzeitig aufgestanden, um ihr Hilfe zu leisten, doch sie verscheuchte sie beide mit einer unwirschen Geste. »Ich will nicht wie eine Invalidin behandelt werden«, teilte sie den beiden brüsk mit. »Ich bin genauso gesund wie ihr beiden!«
Trotz dieser Behauptung konnte Sloan nicht umhin, zu bemerken, wie steif und schwach ihr Körper war und wie schwer sie sich auf ihren Stock stützte. Es war weit mehr die Kraft ihres Willens als die ihres Körpers, die die alte Frau mit langsamen Schritten den Raum durchschreiten ließ.
Auf der Türschwelle drehte sie sich nochmals um und warf einen Blick auf das Grüppchen, das an dem gigantischen barocken Eßtisch unter dem großen Kronleuchter saß. Sloan hatte erwartet, daß die weißhaarige Matriarchin ihnen nun eine gute Nacht wünschen würde. »Vergeßt nicht, die Lichter zu löschen!« bellte sie statt dessen, und Sloan mußte schnell den Blick abwenden, um nicht laut loszulachen.
Ediths Abgang schien auch für die anderen das Zeichen zum Aufbruch zu sein. »Wenn ihr jungen Leute mich bitte entschuldigt«, erklärte Carter und stand auf. »Ich muß noch etwas arbeiten.«
»Ich glaube, ich würde gerne einen Spaziergang machen«, sagte Paul und legte die Hand auf die Lehne von Sloans schwerem Stuhl. »Sloan?«
»O ja, ich komme gerne mit«, stimmte sie begeistert zu, da sie es gar nicht erwarten konnte, das Zimmer zu verlassen.
Die Höflichkeit gebot es, daß Paul auch das andere Paar fragen mußte, ob sie sich ihnen anschließen wollten, doch zu Sloans Erleichterung lehnten sie beide ab.
Draußen schwieg Sloan, bis sie fast am Golfplatz angekommen waren, um sicherzugehen, daß sie außer Hörweite waren. Dann wandte sie sich mit einem amüsierten Blick an Paul. »Ich kann einfach nicht glauben, daß ich mit diesen Leuten verwandt bin«, gestand sie.
»Ich auch nicht«, gab er mit einem leisen Lachen zu.
»Meine Urgroßmutter muß ein später Nachkömmling von Dschingis Khan sein«, fuhr Sloan fort.
»Für den Fall, daß uns jemand sieht, sollte ich besser deine Hand nehmen oder den Arm um dich legen. Was ist dir lieber?«
»Mir ist beides recht«, willigte Sloan zerstreut ein, die immer noch mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war und kaum bemerkte, wie er nun ihre Hand nahm. »Und dann meine
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