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Farm der Tiere

Farm der Tiere

Titel: Farm der Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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getrotzt. Dies etwa waren ihre Gedanken, wenn es ihr auch an Worten mangelte, sie
    auszudrücken.
    Zuletzt stimmte sie ›Tiere Englands‹ an, weil ihr dies irgendwie ein Ersatz für die Worte zu sein schien, die sie nicht finden konnte. Die übrigen Tiere, die um sie her saßen, fielen mit ein, und sie sangen das Lied dreimal hintereinander - sehr melodisch, aber langsam und kummervoll, so wie sie es nie zuvor gesungen hatten.
    Sie hatten es eben zum dritten Mal zu Ende gesungen, da näherte sich ihnen, von zwei Hunden begleitet, Schwatzwutz mit gewichtiger Miene. Er erklärte ›Tiere Englands‹ durch einen Sondererlaß Napoleons für abgeschafft. Von Stund an dürfe es nicht mehr gesungen werden.
    Die Tiere waren bestürzt.
    »Aber warum?« rief Muriel.
    »Es wird nicht mehr gebraucht, Genossin«, sagte
    Schwatzwutz steif. »›Tiere Englands‹ war das Lied der Rebellion. Aber die Rebellion ist jetzt durchgeführt. Die Hinrichtung der Verräter heute nachmittag war ihr Schlußakt.
    Der äußere wie der innere Feind ist besiegt. In ›Tiere Englands‹
    haben wir unsere Sehnsucht nach einer zukünftigen besseren Gesellschaft ausgedrückt. Aber diese Gesellschaft ist jetzt
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    verwirklicht worden. Dieses Lied hat also eindeutig keinen Sinn mehr.«
    So erschrocken sie auch waren, hätten einige der Tiere vielleicht doch protestiert, aber in diesem Moment stimmten die Schafe ihr übliches Geblöke »Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht« an, und dies dauerte etliche Minuten lang an und setzte jeder Diskussion ein Ende.
    So erklang ›Tiere Engla nds‹ nie mehr. Dafür hatte Minimus, der Dichter, ein anderes Lied komponiert, das mit den Worten anhob:
    Farm der Tiere, dir gilt mein Eid:
    Nie treffe dich durch mich ein Leid!
    und dies wurde nun jeden Sonntagmorgen nachdem Hissen der Flagge gesungen. Doch irgendwie schien es den Tieren, daß weder die Worte noch die Melodie an ›Tiere Englands‹
    heranreichten.
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    KAPITEL VIII
    Als einige Tage später das Entsetzen über die Hinrichtungen abgeflaut war, erinnerten sich manche Tiere - oder glaubten, sich zu erinnern - , daß das Sechste Gebot verfügte: ›Kein Tier soll ein anderes Tier töten. ‹ Und obgleich es keiner im Beisein der Schweine oder der Hunde sagen mochte, herrschte doch das Gefühl, daß die stattgefundenen Hinrichtungen damit nicht in Einklang standen. Kleeblatt bat Benjamin, er möge ihr das Sechste Gebot vorlesen, und als Benjamin, wie üblich, sagte, er weigere sich, sich in derartige Angelegenheiten einzumischen, da holte sie Muriel. Und Muriel las ihr das Gebot vor. Es lautete: ›Kein Tier soll ein anderes Tier töten ohne Grund.‹
    Irgendwie waren die letzten zwei Worte dem Gedächtnis der Tiere entfallen. Doch sie sahen jetzt, daß das Gebot nicht gebrochen worden war; denn es gab eindeutig allen Grund, die Verräter zu töten, die sich mit Schneeball verbündet hatten.
    Dies ganze Jahr hindurch arbeiteten die Tiere sogar noch härter, als sie es im Vorjahr getan hatten. Die Windmühle mit doppelt so starken Mauern wie vorher wiederaufzubauen und sie zum festgesetzten Termin zu vollenden, dazu noch die reguläre Farmarbeit, das war schon eine ungeheure Mühe. Es gab Tage, da schien es den Tieren, als arbeiteten sie länger und stünden dabei nicht besser im Futter als zu Jones' Zeiten.
    Sonntagmorgens las ihnen dann Schwatzwutz von einem langen Papierstreifen, den er mit seiner Schweinshaxe auf dem Boden festhielt, Zahlenkolonnen vor, die bewiesen, daß die Produktion von Futtermitteln jeder Art - je nachdem - um 200 Prozent, um 300 Prozent oder um 500 Prozent angestiegen war. Die Tiere sahen keinen Grund, ihm nicht zu glauben, zumal sie sich nicht mehr sehr deutlich daran erinnern konnten, wie die Zustände vor der Rebellion gewesen waren. Trotzdem spürten sie an manchen Tagen, daß sie lieber etwas weniger Zahlen und etwas mehr Futter gehabt hätten.
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    Alle Befehle ergingen jetzt entweder durch Schwatzwutz oder durch eins der anderen Schweine. Napoleon selbst ließ sich nur alle vierzehn Tage einmal in der Öffentlichkeit blicken. Trat er in Erscheinung, begleitete ihn nicht nur sein Gefolge von Hunden, sondern auch ein schwarzer Junghahn, der ihm sozusagen als Herold vorneweg stolzierte und ein lautes
    ›Kikeriki‹ erschallen ließ, bevor Napoleon zu sprechen anhob.
    Es hieß, daß Napoleon sogar im Farmhaus von den anderen getrennte Räume bewohne. Er nahm die Mahlzeiten allein ein, mit zwei Hunden zu seiner

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