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Farm der Tiere

Farm der Tiere

Titel: Farm der Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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späten Abends im Sommer lief plötzlich das Gerücht durch die Farm, daß Boxer etwas zugestoßen sei. Er war alleine hinausgegangen, um noch eine Ladung Steine zur Windmühle zu karren. Und das Gerücht stimmte. Wenige Minuten später kamen zwei Tauben mit der Nachricht angerauscht: »Boxer ist zusammengebrochen! Er liegt auf der Seite und kommt nicht wieder hoch!«
    Etwa die Hälfte der Tiere auf der Farm stürmten zur
    Hügelkuppe hinaus, wo die Windmühle stand. Da lag Boxer zwischen den Deichseln des Karrens, mit ausgestrecktem Hals, unfähig, auch nur den Kopf zu heben. Seine Augen waren glasig, seine Flanken schweißüberströmt. Ein dünnes Blutrinnsal war ihm aus dem Maul gesickert. Kleeblatt sank neben ihm auf die Knie.
    »Boxer!« rief sie, »was fehlt dir?«
    »Es ist meine Lunge«, sagte Boxer mit schwacher Stimme.
    »Aber das tut nichts. Ich denke, ihr werdet es auch ohne mich
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    schaffen, die Windmühle zu vollenden. Wir haben einen tüchtigen Steinvorrat angesammelt. Ich hatte ohnehin nur noch einen Monat vor mir. Ehrlich gesagt, ich habe mich schon richtig auf meine Pensionierung gefreut. Und da Benjamin auch nicht mehr der Jüngste ist, darf er vielleicht zur gleichen Zeit in den Ruhestand treten und mir Gesellschaft leisten.«
    »Wir müssen auf der Stelle Hilfe holen«, sagte Kleeblatt.
    »Nun lauf doch schon jemand los, um Schwatzwutz Bescheid zu gegen.«
    Alle anderen Tiere stürmten sofort zum Farmhaus zurück, um Schwatzwutz die Neuigkeit zu überbringen. Nur Kleeblatt blieb, und auch Benjamin, der sich neben Boxer legte und ihn mit seinem langen Schwanz wortlos vor den Fliegen schützte. Nach rund einer Viertelstunde erschien Schwatzwutz voller Mitgefühl und Sorge. Er sagte, Genosse Napoleon habe mit dem
    allergrößten Bedauern von dem Unfall eines der ergebensten Arbeiter auf der Farm vernommen und treffe bereits
    Vorbereitungen, Boxer zur Behandlung ins Krankenhaus nach Willingdon zu schicken. Hierbei wurde den Tieren etwas mulmig. Bis auf Mollie und Schneeball hatte noch kein Tier die Farm verlassen, und der Gedanke, ihren kranken Genossen in den Händen von Menschen zu wissen, behagte ihnen nicht.
    Schwatzwutz überzeugte sie jedoch mit Leichtigkeit davon, daß der Tierarzt in Willingdon Boxers Fall weitaus sachgemäßer behandeln könnte als sie hier auf der Farm. Und etwa eine halbe Stunde später, als sich Boxer ein wenig erholt hatte, wurde er mit Mühe auf die Beine gestellt und schaffte es auch, zu seinem Stall zurückzuhumpeln, wo ihm Kleeblatt und Benjamin ein gutes Strohlager bereitet hatten.
    Die nächsten beiden Tage blieb Boxer in seinem Stall. Die Schweine hatten ihm eine große Flasche mit rosa Medizin geschickt, die sie im Arzneischränkchen im Badezimmer gefunden hatten, und Kleeblatt verabreichte sie Boxer zweimal täglich nach den Mahlzeiten. Abends lag sie in seinem Stall und
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    unterhielt sich mit ihm, während Benjamin die Fliegen von ihm abhielt. Boxer tat so, als sei es ihm um das Geschehene nicht leid. Wenn er sich gut erhole, könne er noch gut und gerne seine drei Jahre leben, und auf die friedvollen Tage, die er in der Ecke der großen Weide verbringen würde, freue er sich schon. Er würde dann zum erstenmal Muße haben, zu lernen und sich weiterzubilden. Er beabsichtige, sagte er, den Rest seines Lebens dem Erlernen der verbleibenden zweiundzwanzig Buchstaben des Alphabets zu widmen.
    Indes, Benjamin und Kleeblatt konnten nur nach der
    Arbeitszeit bei Boxer sein, und der Frachtwagen, der ihn abholen kam, erschien mitten am Tage. Die Tiere waren alle bei der Arbeit und jäteten unter der Aufsicht eines Schweins gerade Rüben, als sie voller Erstaunen sahen, wie Benjamin aus der Richtung der Farmgebäude herangaloppiert kam und aus Leibeskräften brüllte. Es war das erste Mal, daß sie Benjamin außer sich sahen - ja, und es war auch das erste Mal, daß ihn jemand galoppieren sah. »Schnell, schnell!« schrie er. »Kommt sofort! Sie bringen Boxer weg!« Ohne einen Befehl des Schweins abzuwarten, ließen die Tiere die Arbeit liegen und stürmten zu den Farmgebäuden zurück. Tatsächlich, dort im Hof stand ein großer, geschlossener Wagen mit zwei Zugpferden, einer Aufschrift an der Seite und einem verschlagen blickenden Mann mit flachem Bowler, der auf dem Kutschbock saß. Und Boxers Stall war leer.
    Die Tiere scharten sich um den Wagen. »Auf Wiedersehen, Boxer!« riefen sie im Chor. »Auf Wiedersehen!«
    »Ihr Narren ihr!« schrie Benjamin und

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