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Farm der Tiere

Farm der Tiere

Titel: Farm der Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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tänzelte um sie herum und stampfte mit seinen kleinen Hufen auf die Erde. »Ihr Narren! Seht ihr denn nicht, was da auf der Seite des Wagens geschrieben steht?«
    Das ließ die Tiere innehalten, und es herrschte Ruhe. Muriel begann die Worte zu buchstabieren. Aber Benjamin stieß sie zur Seite und las in die Totenstille hinein vor:
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    »›Alfred Simmonds, Pferdemetzger und Leimsieder,
    Willingdon. Handel mit Häuten und Knochenmehl. Lieferant für Jagdhundezwinger.‹ Versteht ihr denn nicht, was das heißt? Sie schaffen Boxer zum Abdecker!«
    Ein Entsetzensschrei entfuhr allen Tieren. In diesem Augenblick gab der Mann auf dem Bock seinen Pferden die Peitsche, und der Wagen rollte in forschem Trab aus dem Hof.
    Alle Tiere liefen hinterher und riefen so laut sie nur konnten.
    Kleeblatt drängte sich ganz nach vorne. Der Wagen wurde immer schneller. Kleeblatt versuchte, ihren stämmigen Gliedmaßen einen Galopp aufzuzwingen und brachte nur ein Kantern zuwege. »Boxer!« rief sie. »Boxer! Boxer! Boxer!«
    Und als hätte er den Aufruhr draußen gehört, erschien Boxers Gesicht mit der Blesse auf der Nase an dem kleinen Fenster in der Hinterwand des Wagens.
    »Boxer!« rief Kleeblatt mit schrecklicher Stimme. »Boxer!
    Komm raus! Komm schnell raus! Sie fahren dich in den Tod!«
    Alle Tiere nahmen den Ruf »Komm raus, Boxer, komm
    raus!« auf. Doch der Wagen wurde schon schneller und fuhr ihnen davon. Es war ungewiß, ob Boxer verstanden hatte, was Kleeblatt rief. Doch einen Moment später verschwand sein Gesicht vom Fenster, und im Wageninnern ertönte ein
    gewaltiges Hufgetrommel. Er versuchte sich freizukeilen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hätten ein paar Hufschläge Boxers den Wagen zu Kleinholz zertrümmert. Aber ach! Seine Kräfte waren geschwunden; und in kurzer Zeit wurde das Geräusch trommelnder Hufe immer schwächer, bis es
    schließlich ganz erstarb. Verzweifelt beschworen die Tiere die beiden Pferde, die den Wagen zogen, anzuhalten. »Genossen, Genossen!« schrien sie. »Fahrt nicht euren eigenen Bruder in den Tod!« Doch die dummen Biester, die zu blöde dazu waren, das Geschehen zu begreifen, legten bloß die Ohren an und steigerten ihr Tempo noch. Boxers Gesicht erschien nicht mehr am Fenster. Zu spät dachte jemand daran, vorauszulaufen und
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    das Gittertor mit den fünf Querstangen zu schließen, im nächsten Moment war der Wagen schon hindurchgerollt und verschwand rasch die Straße hinunter. Boxer sah man niemals mehr wieder.
    Drei Tage später wurde mitgeteilt, er sei im Krankenhaus in Willingdon gestorben, trotz aller Pflege, die einem Pferd zuteil werden könne. Schwatzwutz überbrachte den anderen diese Nachricht. Er habe, sagte er, Boxers letzten Stunden beigewohnt.
    »Es war der zu Herzen gehendste Anblick, den ich je gesehen habe!« sagte Schwatzwutz, hob seine Schweinshaxe und wischte sich eine Träne fort. »Ich war bis zuletzt an seinem Bett. Und als es zu Ende ging und er schon zu schwach zum Sprechen war, flüsterte er mir ins Ohr, es sei sein einziger Kummer, vor der Vollendung der Windmühle dahingegangen zu sein. ›Vorwärts, Genossen!‹ flüsterte er. ›Vorwärts im Namen der Rebellion.
    Lang lebe die Farm der Tiere! Lang lebe Genosse Napoleon!
    Napoleon hat immer recht.‹ Das waren seine letzten Worte, Genossen.«
    Hier veränderte sich Schwatzwutz' Gebaren plötzlich. Er verstummte für einen Augenblick, und seine kleinen Augen verschossen nach allen Seiten argwöhnische Blicke, ehe er fortfuhr.
    Es sei ihm zu Ohren gekommen, sagte er, daß bei Boxers Abtransport ein ganz albernes und niederträchtiges Gerücht in Umlauf gesetzt worden wäre. Einigen Tieren sei aufgefallen, daß auf dem Wagen, der Boxer abholen kam, »Pferdemetzger«
    stand, und sie hätten sich doch tatsächlich zu dem Schluß verleiten lassen, Boxer werde zum Abdecker gebracht. Es sei schier unglaublich, sagte Schwatzwutz, daß irgendein Tier so töricht sein könne. Bestimmt, rief er empört, fegte mit seinem Schwanz durch die Luft und hopste hin und her, bestimmt kannten sie ihren geliebten Führer, Genosse Napoleon, doch besser! Aber die Erklärung war wirklich ganz einfach. Der
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    Wagen hatte früher dem Abdecker gehört, und der Tierarzt hatte ihn von ihm gekauft und nur noch nicht die Zeit gefunden, den alten Namen zu übermalen. So war dieser Irrtum entstanden.
    Die Tiere waren ungeheuer erleichtert, das zu hören. Und als Schwatzwutz dann noch fortfuhr, anschauliche

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