Farmer, Philip Jose - Flusswelt 01
sehen würde, schien Burton dieses Gebiet jedoch die beste Gelegenheit zum Ausruhen und Analysieren zu bieten. Er beschloß, eine Weile zu bleiben.
Und dann war da auch noch Hermann Göring. Er mußte mehr darüber herausfinden, wieso sie stets gemeinsam an einem neuen Punkt auftauchten.
Und eins der vielen Dinge, nach denen er den geheimnisvollen Fremden hatte fragen wollen, betraf das Traumgummi. Wie paßte diese Droge ins Bild? War auch sie ein Teil des Großen Experiments?
Unglücklicherweise blieb Göring nicht lange bei ihm.
Schon in der ersten Nacht begann er im Schlaf zu kreischen, rannte aus der Hütte und lief auf den Fluß zu, wobei er einige Male stehenblieb, mit den Armen in der Luft herumfuchtelte und mit unsichtbaren Gegnern kämpfte, die ihm offensichtlich stark zu schaffen machten. Burton folgte ihm und ließ ihn nicht aus den Augen. Als Göring endlich am Flußufer angelangt war, machte er Anstalten, sich ins Wasser zu stürzen und zu ertränken. Plötzlich zuckte er zurück, begann am ganzen Leib zu zittern und fiel, steif wie eine Statue, nach hinten. Obwohl seine Augen weit geöffnet waren, schienen sie blicklos.
Die Visionen, die Göring plagten, kamen von innen, unsichtbar für jeden Beobachter. Welche Schrecken ihn auch immer marterten – da er unfähig war zu sprechen, konnte er niemandem darüber etwas mitteilen.
Mit zuckenden Lippen lag er da, und sein Zustand änderte sich für die nächsten zehn Tage nicht. Burton versuchte ihn zu füttern, aber ohne Erfolg: Görings Kiefer waren fest aufeinandergepreßt. Er schrumpfte vor Burtons Augen immer mehr zusammen, sein Fleisch verfaulte, die Haut fiel ihm von den Knochen. An einem Morgen wälzte er sich unter konvulsivischen Zuckungen hin und her, versuchte sich hinzusetzen und schrie. Ein wenig später war er tot.
Neugierig geworden, versuchte Burton die Leiche mit Hilfe einiger Steinklingen zu sezieren. Dabei stellte er fest, daß Görings überfüllte Blase geplatzt und der Urin im ganzen Körper verteilt war.
Dann ging er daran, Göring die Zähne zu ziehen. Bevor er ihn beerdigte, konnte er auf diese Weise noch einige begehrte Dinge beiseite bringen, die einen gewissen Tauschwert besaßen. Dazu zählten nicht nur Zähne, aus denen man Zierstücke für Halsketten herstellte, sondern auch die Skalps der Verstorbenen. Die Sumerer hatten die Sitte des Skalpierens von den Shawnee-Indianern aus dem siebzehnten Jahrhundert übernommen, die das gegenüberliegende Ufer bewohnten. Aus den so gewonnenen, mit Haar bewachsenen Kopfhäuten ließen sich Umhänge, Jacken und sogar Vorhänge anfertigen. Zwar waren Skalps nicht so wertvoll wie Zähne, aber sie brachten auf dem Markt immerhin einiges ein.
Als Burton am Fuße der Berge für Göring eine Grube aushob, durchzuckte ihn plötzlich die Erinnerung. Er hatte die Arbeit gerade unterbrochen, um einen Schluck Wasser zu trinken, als sein Blick auf Görings Leiche fiel. Der völlig glatte Kopf, die an einen friedlichen Schlaf erinnernden Züge öffneten unerwartet in seinem Bewußtsein eine Tür.
Er hatte dieses Gesicht schon einmal gesehen, und zwar bei seinem frühzeitigen Erwachen in der Vorerweckungsblase. Göring hatte ganz in seiner Nähe in der Luft gehangen, und sein Schädel war – wie bei allen anderen Schläfern auch – ohne jeden Haarwuchs gewesen. Er war ihm nur kurz aufgefallen, und bald darauf hatten die Wächter ihn entdeckt. Und später, nach dem großen Erwachen, hatte er den Mann nur deswegen nicht gleich erkannt, weil auf seinem Haupt bereits wieder blondes Haar sproß.
Aber er wußte, daß Göring sich vor der Erweckung in seiner unmittelbaren Nähe befunden hatte.
Konnte es möglich sein, daß zwei Erweckte, die einander körperlich ziemlich nahe gewesen waren, irgendwelchen gemeinsamen Faktoren unterlagen? War damit das Rätsel, daß sie kurz nach ihrem Tod jeweils am gleichen Gralstein erwachten, geklärt? Vielleicht war Görings scherzhaft geäußerte Vermutung von den verwandten Seelen doch nicht so falsch.
Burton beendete seine Grabarbeit mit einem kräftigen Fluch. Warum nagten an ihm so viele Fragen, auf die er keine Antwort fand? Er nahm sich vor, dem nächsten Ethiker, dem er begegnete, alle Antworten, die er suchte, zu entreißen; gleichgültig welche Mittel er dabei einsetzen mußte.
Die nächsten drei Monate verbrachte er damit, sich an die seltsame Gesellschaft, der er nun angehörte, anzupassen, und registrierte, daß die neue Sprache, die sich aus dem
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