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Farmer, Philip José - Flusswelt 02

Farmer, Philip José - Flusswelt 02

Titel: Farmer, Philip José - Flusswelt 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auf dem Zeitstrom
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keine Literatur existierte?
    Die leuchtenden Visionen seiner Fantasien verblaßten, und Sam sank in sich zusammen. Er dachte wieder an Livy, die ihm so nah gewesen und doch wieder entrissen worden war – von jenem Element, das überhaupt erst die Grundlage seines großen Traumes bildete. Sie war ihm ganz kurz erschienen und dann, wie durch die Boshaftigkeit eines sadistischen Gottes, wieder fortgenommen worden. Und dieser Traum – war er überhaupt realisierbar? Bis jetzt hatte er noch nicht einmal ansatzweise das Problem gelöst, wie er an die Stelle herankommen konnte, an der das Eisen lag, das er brauchte.

9
    »Du siehst blaß und müde aus, Sam«, sagte Lothar. Sam stand auf und erwiderte: »Ich gehe schlafen.«
    »Was denn«, meinte Lothar. »Du entziehst dich der süßen kleinen Venezianerin aus dem siebzehnten Jahrhundert, die dir schon seit Tagen schöne Augen macht?«
    »Paß du auf sie auf«, sagte Sam und ging an ihm vorbei. Während der letzten Stunden hatte er ein paar Mal überlegt, ob er das Mädchen nicht in seine Hütte holen sollte, und dieser Wunsch wurde besonders dann übermächtig in ihm, wenn der Whisky sein Inneres erwärmt hatte. Jetzt fühlte er sich ihr gegenüber beinahe unbeteiligt. Des weiteren würde er wieder Schuldgefühle entwickeln, wenn er Angela Sangeotti mit ins Bett nahm. Er hatte bisher noch wegen jeder der zehn Frauen, mit denen er während der letzten zwanzig Jahre beisammen gewesen war, Trauer verspürt, wenn sie von seiner Seite gerissen wurden. Und jetzt – und das war wirklich komisch – würde er ebenso ein schlechtes Gewissen haben; nicht wegen Livy, sondern wegen Temah, seiner indonesischen Gefährtin. Mit ihr hatte er die letzten fünf Jahre zusammengelebt.
    »Lächerlich!« hatte Sam mehrere Male zu sich selbst gesagt. »Es gibt einfach keinen vernünftigen Grund, warum ich wegen Livy ein schlechtes Gewissen entwickeln sollte. – Außerdem sind wir jetzt schon so lange voneinander getrennt, daß wir- vorausgesetzt, wir würden uns begegnen – uns wie Fremde vorkommen müßten. Wir haben beide seit dem Tag der Wiedererweckung zuviel durchgemacht.«
    Dennoch trug die Logik seiner Argumentation nicht dazu bei, in seinen Gefühlen eine Veränderung hervorzurufen. Und darunter litt Sam. Und warum auch nicht? Rationalität hatte mit reiner Logik nichts zu tun; der Mensch war ein irrational handelndes Tier, das nun einmal aufgrund seines angeborenen Temperaments auf jene Stimuli reagierte, für die es empfänglich war.
    Warum also quäle ich mich selbst mit Dingen, an denen ich, obwohl ich auf sie in dieser Form reagiere, unschuldig bin?
    Weil es meiner Natur entspricht, so zu reagieren, bin ich doppelt verdammt. Und dabei ist im Grunde nichts anders als das erste Atom, das auf der gerade entstandenen Erde in Bewegung war und gegen ein anderes stieß, die Hauptursache dafür, daß ich existiere und unausweichlich einen Weg gehen muß, der mich durch die Finsternis eines fremden Planeten führt, auf dem nur junge Menschen leben, die von überall und aus allen Zeitepochen kommen; daß ich mich auf eine Bambushütte zubewege, in der Einsamkeit, ein schlechtes Gewissen und Selbstbeschuldigungen, die zwar rational unbegründet sind, nichtsdestotrotz aber existieren, meiner harren.
    Ich könnte Selbstmord begehen – aber auch der Freitod kann mir auf dieser Welt nicht helfen. Ich würde vierundzwanzig Stunden später an einem anderen Ort wieder erwachen und dennoch der gleiche Mensch sein wie jener, der sich in den Fluß gestürzt hatte und ertrunken war. Und ich würde wissen, daß auch der nächste Versuch mir ebenso wenig einbringen und mich höchstens noch unglücklicher machen würde.
    »Ihr hartherzigen, unerbittlichen Hundesöhne!« fluchte Sam und schüttelte die Faust. Dann lachte er bitter und meinte: »Aber ihr könnt ebenso wenig für eure Hartherzigkeit wie ich für mein Verhalten. Letztendlich sitzen wir doch alle im gleichen Boot.«
    Dieser neue Gedanke führte allerdings nicht dazu, daß ihm die Rachegefühle vergingen. Er war noch immer fest entschlossen, in die Hand zu beißen, die ihn dazu verurteilt hatte, auf ewig zu leben.
    Sams Hütte lag in den Hügeln und stand unter den Ästen eines mächtigen Eisenbaumes. Obwohl sie kaum mehr als ein Verschlag war, repräsentierte sie doch alles, was diese Gegend an Luxus zu bieten hatte, da Steinwerkzeuge, aus denen man feste Unterstände errichten konnte, hier eine Seltenheit darstellten. Diejenigen, die

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