Farmer, Philip José - Flusswelt 05
einzuschätzen. Mußte gut sein. Eine Frage des Überlebens.«
»Sie hat ein sehr schweres Leben gehabt«, sagte Burton. »Ein Wunder, daß sie nicht verrückt geworden ist.«
»Sie versuchen, einfühlsam vorzugehen und mir zu sagen, daß ich nicht der einzige bin, der schwere Zeiten durchlebt hat?«
»Sie sind überaus sensibel, mein Freund.«
Williams benötigte noch dreißig Minuten, um seine Geschichte zu beenden. Er hatte eine tiefreligiöse schwarze Frau geheiratet, die sich leider einem übermäßig leidenschaftlichen Prediger nicht verwehren konnte. Das Ergebnis: Williams fing sich wieder einen Tripper. Um gegen den Drang vorzugehen, ihr nachzuspüren und sie umzubringen, war er lieber auf die Jagd gegangen und hatte sein Verlangen nach Gewalt sublimiert, indem er Vögel und Kaninchen geschossen hatte. Während er die Wälder durchstreifte, wurde er hinterrücks von einem Schuß aus einem Gebüsch tödlich verletzt. Im Sterben fragte er sich, welcher der vielen Kandidaten ihn erwischt hatte. Ein KGB-Mann, Agenten der CIA, der Black Muslims, der Albanier oder der Heilsarmee? Zwar war die Heilsarmee nicht höchstpersönlich hinter ihm her, wohl aber ein weiblicher Streiter in ihren Rängen. Während der Zeit in Los Angeles hatte Williams bei einer Predigt, die eine gewisse Majorin Barbaro gehalten hatte, vorgegeben, zum Christentum konvertiert zu sein. Dann war er der Heilsarmee beigetreten, aber eine Unteroffizierin namens Rachel Goggin hatte sich in ihn verliebt, und er sich in sie. Zu dieser Zeit hatte er angenommen, er sei sauber und frei von jeder Geschlechtskrankheit, aber nachdem er es mit Rachel getrieben hatte, hatte er gemerkt, daß das Schicksal es kaum besser mit ihm meinte. Überdies hatte Rachel sich bei ihm angesteckt.
Williams hatte versprochen, sie zu heiraten, doch seine Feinde hatten ihn umzingelt, und er hatte sie verlassen, um das eigene Leben zu retten. Unteroffizierin Goggin hatte wegen dieser unangekündigten Desertation und ihrer Überreaktion auf die Infektion, an die Williams sich schon so gut wie gewöhnt hatte, offenbar gewisse Psychosen entwickelt. In Portland hörte er, daß eine Frau, die Rachel ähnelte, sich nach ihm erkundigte und eine Pistole trug.
»Jeder außer dem Weihnachtsmann und dem Osterhasen wollte mir an den Kragen - und bei den beiden war ich mir auch nicht sicher.«
»Und was haben sie aus diesen… äh… pikanten Erfahrungen gelernt?«
»Sie tönen wie Nur.«
»Sie haben mit ihm gesprochen?«
»Sicher«, sagte Williams. »Ich kenne hier jeden. Und zwar gut.«
»Ja, aber wie sieht die Lehre aus?« fragte Burton.
»Daß ich ein Spielball des Lebens gewesen bin, es aber nie wieder sein werde. Dafür habe ich auf der Flußwelt gesorgt. Ich habe um Macht gekämpft und sie errungen. War ich in einer Situation, in der ich getreten wurde, sah ich zu, daß ich so schnell wie möglich selbst treten konnte. Ich war es leid, herumgestoßen und über den Löffel barbiert zu werden. Und so…«
»Hier schikaniert Sie keiner, habe ich recht?« sagte Burton. Er erhob sich von seinem Stuhl.
»Und niemand wird mich schikanieren.«
Williams lächelte; sein Gesichtsausdruck war eine seltsame Mischung aus Amüsement und Boshaftigkeit.
»Setzen Sie sich, noch eine Minute. Dann können Sie gehen. Hat Sie in den letzten beiden Wochen nichts verblüfft? Etwas, das Sie sich nicht so recht erklären können?«
Burton runzelte die Stirn. »Mir fällt nichts ein«, sagte er langsam. Dann glättete sich seine Stirn. »Außer… Ja, ich habe mich über etwas gewundert… Aber Sie können nichts damit zu tun haben… Ich habe mich gefragt, wer Netley, Gull, die Crook, die Stride und die Kelly wiederbelebt hat.«
»Sie meinen die Leute, die in den Jack-the-Ripper-Fall verstrickt waren?«
Burton war überrascht, versuchte aber, es nicht zu zeigen. »Woher wissen Sie, wer sie sind?«
»Oh, ich habe Sie beobachtet, wie Sie ihre Gedächtnisspeicher beobachtet haben.«
Burton schoß aus dem Stuhl, sein Gesicht war rot und verzerrt.
»Verdammt, Sie haben mich bespitzelt! Woher nehmen Sie das Recht…«
Williams lächelte noch immer, doch seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. Er erhob sich ebenfalls.
»Jetzt machen Sie mal einen Punkt! Wenn Sie es für richtig halten, andere zu bespitzeln, müssen Sie auch damit rechnen, selbst bespitzelt zu werden. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, mein Freund.«
Burton war einen Augenblick sprachlos. »Da
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