Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
übernommen haben mit ihren Stempeln und Formularen und Vorschriften. Sie wollen ein Visum für Belgien? Das gibt’s in Köln. Ein Transitvisum für Frankreich? Wozu brauchen Sie das denn, wenn Sie schon nach Belgien fahren? Nur so, für alle Fälle? Na ja, Sie müssen’s wissen. Wenn Sie die Umtriebe nicht scheuen – das französische Konsulat ist aber in Düsseldorf! Sie haben doch die Bescheinigungen X und Y dabei? Tut mir leid, die müssen Sie bei der Stadtverwaltung Ihres Wohnorts einholen, in, ähh, Wuppertal, jawoll, abgestempelt vom Einwohnermeldeamt und von der Polizei. In dreifacher Ausführung, jawoll, sage ich doch. Ach, da sind Sie ja wieder! Aber was ist das denn? Da fehlt ja die Datumszeile! Tut mir sehr leid, da müssen Sie schon zurück nach, ähh, Wuppertal, jawoll … Nein, die Datumszeile kann ich nicht selbst einfügen, wo denken Sie hin, Urkundenfälschung und Amtsanmaßung. Bringen Sie nächstes Mal gleich drei Passfotos, zwölf Reichsmark und eine Abschrift Ihres Heimatscheins mit, ja? Dann füllen wir umgehend das Antragsformular aus, das wir dann weiterleiten an …
So geht das vier Tage lang. Kurt und Waldemar hetzen von Stadt zu Stadt, irren durch fremde, flaggengeschmückte Stadtteile auf der Suche nach dieser oder jener Amtsstube, warten ergeben in langen, frisch gewienerten Fluren auf harten Holzbänken, aber dann ist leider Dienstschluss, kurz bevor sie an der Reihe wären, und der Hausmeister scheucht sie mit dem Besen auf die Straße. Sie übernachten in trüben, verwanzten Pensionen mit quietschenden Betten. Wenn nachts irgendwo die Polizeisirene heult, schrecken sie aus dem Schlaf. Aber zu guter Letzt läuft alles glatt, und Sandweg und Velte überqueren die deutsch-belgische Grenze bei Aachen.
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Antwerpen, vierundzwanzigster November 1933. Am Hafen duftet es betörend nach verbranntem Diesel, faulem Fisch, Schmieröl und frischer Meeresluft. Die Drehwippkräne greifen wie prähistorische Insekten in den Nebel. Im Wasser liegen Schiffe in allen Größen. Auf den Piers und Kais wimmelt es von Menschen: Matrosen auf Landurlaub, Kaiarbeiter, Schauerleute, Lagerarbeiter, Kranführer, Wäger, Messer, Schlepperleute, Festmacher, Schiffsreiniger und, natürlich, die reichen Passagiere mit ihren Pelzmänteln, ihren steifen Hüten und ihren Kofferträgern. An der Landebrücke erhebt sich schwarz wie ein stählerner Berg ein Linienschiff. Die Schiffsmotoren dröhnen, das Wasser im Hafenbecken sprudelt, zwei Festmacher lösen die Taue. Dann wird der Spalt zwischen dem Pier und der Schiffswand breiter. Hoch oben blicken bleiche Gesichter ins Leere, manche winken dem Alten Kontinent zum Abschied. Die Bordkapelle auf dem Promenadendeck spielt unter bunten Lampions einen Walzer. Die Möwen tragen die Musik kreischend aufs offene Meer hinaus.
Das Schiff fährt ohne Kurt und Waldemar – erstens weil sie nicht über die nötigen Papiere verfügen, zweitens weil Amerika auch ohne sie schon fünfzehn Millionen Arbeitslose hat und drittens weil die tausendzweihundertfünfzig Reichsmark aus dem Banküberfall nirgends hinreichen. Jetzt sitzen sie am Pier auf einer Taurolle und lesen Zeitung.
ERSTE SEITE: Aus ganz Nordfrankreich strömen Tausende von arbeitslosen Stahl- und Kohlegrubenarbeitern der Hauptstadt entgegen. Sie marschieren in kleinen Gruppen von zwei bis fünf Mann, weil die Polizei jede Manifestation in geschlossenen Reihen verboten hat. Die Landstraßen von Calais, Lille und Roubaix nach Paris werden streng bewacht.
VERMISCHTE MELDUNGEN: Im schottischen Hochland macht Fotograf Hugh Gray an einem nebelverhangenen See namens Loch Ness als erster Bilder eines saurierähnlichen Wesens.
DEUTSCHLAND: Reichskommissar Hermann Göring forciert den Bau von staatlichen Konzentrationslagern. Er will das Treiben der SA unter Kontrolle bringen, die auf eigene Faust wilde Lager unterhält. In sämtlichen Landesgegenden sind heftige Proteste auch aus national gesinnten Kreisen laut geworden gegen das blindwütige Foltern und Morden.
INTERNATIONAL: In Europa und Nordamerika werden Jahr um Jahr mehr Banken überfallen. Die Räuber profitieren vom technologischen Vorsprung, den ihnen schnelle Automobile gegenüber der schlechtausgerüsteten Polizei verschaffen. Zudem stellt der Abtransport auch großer Summen kein schwerwiegendes Problem mehr dar, seit in der Inflation von 1922/23 Papiergeld zum wichtigsten Zahlungsmittel wurde.
SPORT: Die deutsche Fußballnationalmannschaft schlägt die
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