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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Turnerfrauen den Saal; aber das alles geschah auf allzu zweckmäßige Weise und ohne rechte Begeisterung. Beim Spaziergang fanden sie nie zum wiegenden, harmonischen Gleichschritt eines glücklichen Paares, sondern schlugen beständig mit Ellbogen und Hüftknochen aneinander; auf der Tanzbühne benahmen sie sich derart hölzern und ungelenk, dass man Mitleid mit ihnen haben musste; und wenn sie einander in die Augen schauten, lag in ihren Blicken stets Befremden und Misstrauen. Trotzdem waren sie ein Paar, und beide Familien warteten mit ruhiger Zuversicht darauf, dass er ihr endlich den längst fälligen Heiratsantrag machte. Wenn er es bisher nicht getan hatte, so wohl nur, weil er so viel um die Ohren hatte. Die beiden waren einfach füreinander bestimmt und Schluss.
    Ihr Verhältnis gewann auch dadurch nicht an Leidenschaft, dass Marie zur Weihnachtszeit 1933 eine Stelle als Aushilfsverkäuferin in Basel annahm. Überrascht stellte Ernst fest, dass dieses wohlhabende, verwöhnte Mädchen für kleinen Lohn erhebliche Strapazen auf sich nahm: lang vor dem Morgengrauen aufstehen und zu Fuß ins nächste Dorf laufen; von dort mit dem Bus ins Nachbarstädtchen, dann weiter mit dem Zug nach Basel, eingekeilt zwischen tausend anderen Landbewohnern, um von früh bis spät überheblichen Städtern zu Diensten zu sein; und abends denselben Weg wieder zurück.
    Ernst Walder war nicht dumm; er verstand, dass die Arbeit im Globus wahrscheinlich die einzige Gelegenheit in Maries Leben bleiben würde, der Enge des Dorfes, der Familie und der Ehe zu entfliehen. Er ließ sie gewähren. Denn erstens waren sie noch nicht formell miteinander verlobt und hatte er also keinerlei verbindliche Ansprüche anzumelden; zweitens ging ihm ihre Abwesenheit nicht allzu sehr zu Herzen; drittens hatte er nichts dagegen einzuwenden, dass sie vor der Hochzeit noch einige Ersparnisse anlegte; und viertens empfand er keine Eifersucht, vielleicht aus Mangel an Vorstellungskraft.
    Immerhin wollten es der Zufall und der Personalchef des Globus, dass Marie der Sportartikelabteilung zugewiesen wurde, und dort war Ernst Stammkunde. Es ist überliefert, dass er am vierzehnten Dezember 1933 einen neuen Nabholz-Trainer kaufte, einen schwarzen mit zwei weißen horizontalen Streifen über der Brust. Nachdem er bezahlt hatte, wickelte Marie den Trainer in braunes Packpapier. Ernst stand daneben, bohrte die Fäuste in die Hosentaschen und schaute ihr zu.
    »Heute gibt’s übrigens Handballschuhe mit dreißig Prozent Rabatt«, sagte sie.
    »Danke höflichst, aber die sind für Handball. Für Fußball kann man die nicht gebrauchen.«
    »Das weiß ich. Ich habe nur gedacht, ich sag’s dir.«
    »In Ordnung.«
    »Sammelst du eigentlich unsere Rabattmarken?«
    »Nein.«
    »Das solltest du. Es lohnt sich.«
    »Wenn du meinst.«
    »Sicher. Habt ihr am Sonntag ein Spiel?«
    »Nein. Jetzt ist Winterpause. Anfang Februar geht’s wieder los.«
    »Ach so.«
    »Ja.«
    »Übrigens war heute der Dings hier, der Sohn vom Feuerwehrkommandanten.«
    »Aha.«
    »Der hat ein Fahrrad gekauft, ein teures. Der ist jetzt ein Herr Doktor.«
    »Pff, ein Herr Doktor!« An dem Tag, an dem Ernst Walder sich endgültig für seine sichere Lehrerstelle und gegen ein Universitätsstudium entschieden hatte, war in ihm eine tiefe Abneigung gegen Akademiker erwacht. »Was für ein Doktor?«
    »Na, ein Herr Doktor halt.«
    »Es gibt verschiedene Doktoren, Marie. Es gibt Doktoren der Naturwissenschaften, die befassen sich mit ihrem Handwerk. Dann gibt es Doktoren der Jurisprudenz, die befassen sich mit ihresgleichen. Und dann gibt es Doctores der Philologie, die befassen sich mit blödem Gequatsche.«
    »Jaja«, seufzte Marie. »Das hast du schon oft gesagt.«
    »Also dann, grüß dich.«
    »Grüß dich.«
    »Wollen wir zusammen heimfahren?«
    »Wenn du magst.«
    »Wann soll ich dich abholen?«
    »Um sieben. Auf dem Marktplatz. Bei der Tramhaltestelle.«
     
    *
     
    Zur gleichen Zeit, in der Schallplattenabteilung:
    »Fräulein Dorly, da sind Sie ja!«
    »Guten Tag, Fräulein Dorly.«
    »Guten Tag, die Herren.«
    Genau vierundzwanzig Stunden sind vergangen seit der ersten Begegnung in der Schallplattenabteilung des Globus. Dorly gönnt dem Finnen und dem tapsigen Österreicher nur einen kurzen Blick. Haben die ihren Aufenthalt in Basel also tatsächlich um einen Tag verlängert. Heute will Dorly nicht so viel Zeit haben. Die beiden haben sich gestern schon ein bisschen viel herausgenommen mit der

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