Fast genial
neben ihm
sprach ihn an. Er fragte Francis, woher er komme, und meinte, er selbst sei ein
Musiker aus Litauen und würde immer mal wieder nach Vegas fliegen, um hier zu
spielen. Sie wünschten sich gegenseitig Glück. Grover klopfte Francis auf die
Schulter, Anne-May sagte begeistert: „Du bist einfach nur wahnsinnig“, und er
selbst hatte die beste Laune seines Lebens. Er betrachtete die Chips. Was man
mit sechsunddreißigtausend Dollar alles machen konnte! Vor allem jetzt, da Ryan
ihnen nichts mehr geben wollte. Es war genug, um ihre Schulden zu zahlen, ein
kleines Auto zu kaufen und noch etwas zur Seite zu legen. Francis stellte sich
das Gesicht seiner Mutter vor, wenn er sie mit so einem Haufen Geld
überraschte. Doch heute Nacht war noch mehr möglich, das wusste er. Er würde
die Hunderttausend erreichen, nach oben zu den Leuten hinter den verdunkelten
Scheiben gehen und mit einer Million hier rausspazieren. Dann würde er nie
mehr nach Claymont zurückkehren müssen.
Adrenalin rauschte durch seinen Körper, alles
geschah in wenigen Sekunden. Er sah zu Anne-May, sie schien zu lächeln, schon
setzte er zwanzigtausend auf Schwarz, schob die Chips auf dieses Feld, die
Kugel drehte sich wieder, und die Kugel fiel auf Rot.
Es war, als hätte ihm jemand ins Gesicht geschlagen.
Francis schüttelte sich, dann setzte er fünftausend,
wieder auf Schwarz. Es kam Rot. Erneut fünftausend, aber auch das ging
daneben. Wieso? Er fuhr sich über die Stirn und spürte den kalten Schweiß. Dann
setzte er zweitausend. Bitte, dachte er. Wieder verloren. Die anderen meinten,
er solle aufhören, das sei doch seine Reserve. Aber er konnte nicht mehr
stoppen, er wusste, dass er hier gewinnen würde!
Francis setzte zweitausend und gewann. Vor Erleichterung
schrie er auf. Jetzt würde er sich wie vorhin alles zurückholen. Doch die
nächsten Runden verlor er ausnahmslos. Schließlich hatte er nur noch tausend.
Er setzte sie auf Rot und ballte die Faust, bis das Weiße der Knöchel hervortrat.
„Tu's nicht“, hörte er Anne-May hinter ihm sagen. „Bitte.“
„Ich weiß, dass es klappt“, sagte er und starrte auf
die kleine Kugel. „Ich kann es fühlen. Komm schon!“ Es kam Schwarz - verloren,
aus.
Er lieh sieb von Grover fünfzig Dollar und setzte
sie an einem anderen Tisch direkt auf Anne-Mays Glückszahl Dreizehn, doch es
kam die Sieben. Danach war es endgültig vorbei. Während Francis allein aus dem
Casino taumelte, hatte er den Kopf voller blinkender Zahlen.
3
Er stürzte hinaus, in die Hitze der Wüste. Unterwegs
sprachen ihn Zuhälter und Huren an, er sah Touristen gut gelaunt durch die
Straßen streunen. Vor ein paar Stunden war er noch genau wie sie. Francis
musste an seinen Vater denken. In seiner Vorstellung hatte er ihn immer als Gewinner
besucht, er hatte erst in Vegas abräumen und ihn dann treffen wollen. „Sieh
her, Dad, ich hab's geschafft, auch ohne dich.“ Jetzt würde er ihm mit leeren
Händen gegenübertreten müssen.
Er kam an einer Telefonzelle vorbei und war kurz
davor, seine Mutter anzurufen. Auf einmal vermisste er sie sehr. Er wäre am
liebsten bei ihr gewesen, hätte sie in den Arm genommen und über alles
geredet; seine Fahrt in den Westen, seinen Vater, ihren Selbstmordversuch. Er
wollte sie auf die Stirn küssen, sie endlich mal wieder lachen hören. Aber dann
rief er sie doch nicht an.
Stattdessen wählte er die Nummer von Nickys Handy.
„Frankie, wo bist du?“, fragte dieser. Anscheinend
hatte er schon geschlafen.
Francis atmete durch, froh, die Stimme seines
kleinen Bruders zu hören. „Ach, unterwegs.“ Er schloss die Augen und sah für
einen Moment wieder den klappernden Tanz der Roulettekugel. „Aber sag: Wie
geht's dir?“
„Ganz gut“, meinte Nicky, noch immer verschlafen. „Heute
habe ich in Mathe die beste Arbeit gehabt. Obwohl ich gar nicht gelernt habe.“
Das sind deine Gene, dachte Francis. Aber wieso war
er selbst dann so schlecht in der Schule? Bei seinem Potential!
Kurz streifte ein Gedanke sein Bewusstsein; was,
wenn er eigentlich hochbegabt war und bisher nur zu wenig gefördert wurde?
Andererseits störte ihn die Vorstellung, dass alles
von den Genen abhängen sollte. Nichts läge mehr in seiner Hand.
Eventuell hatte er ja auch die psychischen
Krankheiten und die Depression seiner Mutter geerbt und wusste es nur noch
nicht. Dann hatte er vielleicht noch zehn Jahre, bis plötzlich wie bei ihr
alles finster wurde. Und es gab nichts, was er gegen
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