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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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ihn immer Gedichte ausgedacht, die sich nie wirklich reimten, und dann war
sie einfach gestorben. Jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, was nach dem Tod
geschah, hoffte er, dass es Hannah noch irgendwo gab und dass es ihr gutging.
Er erinnerte sich wieder an seine Fahrt durch das Land und wie er immer gedacht
hatte, dass das Ende der Reise so wichtig sei, die Begegnung mit seinem Vater,
aber dass das gar nicht stimmte, sondern dass die Reise selbst viel wichtiger
gewesen war. Und dann dachte er an seinen Vater, diesen versoffenen Hurenbock,
dem er nie seinen Namen gesagt hatte und der als Untermieter von Kriminellen
in einer Garage in Mexiko lebte. Und Francis wünschte sich so sehr, dass John
nicht so werden würde wie er oder Doblinski, sondern nach Anne-May kam und dass
er später mal gut in der Schule sein würde und Bücher las und nicht so viel
fernsah. Er musste an Johns Geburt denken. Wie er im Kreißsaal gestanden,
Anne-Mays Hand gehalten und auf einmal sein Schreien gehört hatte. Und wie er
seinen Sohn dann zum ersten Mal im Arm gehabt hatte. Es war das stärkste Gefühl
seines Lebens gewesen, und er hatte dieses verschrumpelte kleine Ding nie mehr
loslassen wollen, und dann hatten es ihm kurz darauf die Eltern von Anne-May
weggenommen, und eigentlich hatten sie es ihm nie mehr wiedergegeben. Und Anne-May
Gardener, natürlich dachte er an sie und wie er in dem riesigen Mist- und
Schrotthaufen, der sein Leben war, auf einmal etwas Goldenes, Glänzendes
gefunden hatte, nämlich sie. Er erinnerte sich daran, wie er sie das erste Mal
in der Klinik gesehen hatte. Wie sie es auf dem Flügel getan hatten. Wie sie
immer so lächelte, dass man ihre Zähne sah, wie sie ihn neckend auf die Schulter
schlug oder für John auf dem Klavier spielte. Und wie sie ihm mehr und mehr
entglitt. Er dachte an das Häuschen in San Francisco. Seinen Traum. Wenn die
Kugel jetzt auf Schwarz landete, dann konnte er allem noch eine andere Wendung
geben. Er würde das Häuschen in San Francisco sofort kaufen und auch einen Ring
für Anne-May, und dann würde er ihr einen Antrag machen, und sie würden
zusammen mit John nach San Francisco ziehen, in die Sonne. Er hätte dann nicht
nur seine Ketten gesprengt, sondern auch die seiner Mom, die er natürlich in
den Westen mitnehmen würde. Und auch die von Anne-May. Ihre Ketten waren
vielleicht nicht rostig und dreckig wie seine, sie waren stattdessen golden,
aber sie war genauso gefangen wie er.
    Und dann dachte er daran, was passierte, wenn jetzt
doch Rot kam und er verlor. Wenn sein Traum ihn getäuscht und er bis jetzt
einfach nur unverschämtes Glück gehabt hatte und nun durch seine Spielsucht
alles in den Sand setzte. Ihm fiel wieder ein, wie er unten im Casino schon
einmal falsch gesetzt hatte, und er wusste, dass er sich von dem Schlag, eine
halbe Million verloren zu haben, niemals mehr erholen würde. Er würde sich
morgen freiwillig melden und ein völlig anderes Leben führen, vielleicht im
Krieg sterben wie Brad Jennings' Bruder oder als seelischer Krüppel
zurückkommen und bis zu seinem Tod ein verlorenes Dasein fristen.
    In den wenigen Sekunden, bis die Kugel endlich
liegen blieb, führte Francis mehrere Leben gleichzeitig, er pendelte zwischen
dem alten Leben im Trailerpark und den beiden möglichen neuen in San Francisco
oder dem Irak, er pendelte zwischen Wohlstand und Glück, Armut und Tod, und es
waren drei Leben, wie man sie nur in einem einzigen Land parallel führen
konnte, nämlich in diesem. Ein magischer Moment der Gleichzeitigkeit, denn von
diesen drei Leben würden zwei nun für immer vorbei sein.
    Francis warf noch einen letzten Blick auf den
Scheich, der fast so erstarrt wirkte wie er, dann sah er, wie die Kugel von der
Kesselwand herunterfiel. Sie landete mit einem klickenden Geräusch in einem
Fach für eine schwarze Zahl, sprang weiter, fiel in das Fach einer roten Zahl,
hüpfte wieder weiter, als würde sie tanzen. Er hielt es vor Spannung nicht
mehr aus und schloss die Augen, ganz fest schloss er sie, er presste sie
richtig zusammen. Gleich war es so weit, und sein Herz klopfte so heftig, dass
er Angst hatte, es würde zerspringen, ihm wurde schwindlig, und er musste sich
am Tisch festhalten, um nicht umzukippen. Er hörte seinen Atem und die
springende Kugel, er hatte wieder die Bilder im Kopf, San Francisco oder Irak,
Anne-May und John oder die Einsamkeit, Leben oder Sterben.
    Und nun würde sich alles entscheiden, bitte
Schwarz!, bitte Schwarz!, bitte

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