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Fast genial

Fast genial

Titel: Fast genial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedict Wells
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der stickigen
Turnhalle in Jersey City Adam Landis besiegt hatte, den Jugendmeister im
Ringen, und seine Mutter und Ryan ihn danach umarmt hatten und er vor Stolz
fast geplatzt war. Oder wie er vor seinem ersten Kuss so nervös gewesen war,
dass er hatte lachen müssen, und wie er danach mit diesem unglaublichen
Glücksgefühl nach Hause gerannt war und es allen erzählen wollte. Was würde aus
diesen unbedeutenden, aber für ihn so wichtigen Momenten werden? Niemand
kannte seine Gedanken und Erinnerungen. Wenn er starb, würden sie vergessen
werden, und ein paar Erdumdrehungen später würde es sein, als hätte es sie nie
gegeben. Alles würde verlorengehen, auf dem Flug durchs All.
    „Vor zwei Monaten habe ich Tony Gould getroffen“,
sagte er. „Das ist ein alter Bekannter meiner Mom. Er arbeitet auf dem Bau und
meinte, dass er einen Job für mich hätte, falls es mit der Schule nichts werden
würde. Als ich danach nach Hause kam, habe ich gedacht, dass ich das machen
werde. Dass wir das Geld einfach brauchen und dass für mich eben nicht mehr
drin ist. Doch als wir neulich am Missouri River saßen, da...“ Er schüttelte
den Kopf. „Es klingt albern. Aber ich habe mich gefragt, ob es nicht mehr für mich
gibt als das.“
    Er wartete, ob Anne-May etwas sagte, doch sie schwieg.
    „Bis vor kurzem habe ich gedacht, es ist besser,
wenn man alles mit Humor nimmt und die Dinge nicht so ernst sieht.“ Er hielt
kurz inne. „Aber das ist falsch. Denn ab einem bestimmten Moment ist nichts mehr lustig,
und man kann das Leben nur noch ernst nehmen.“
    Francis drehte sich vom Spiegel weg und sah Anne-May
direkt in die Augen. Er war nie gut mit Worten gewesen, aber jetzt hatte er
genau das gesagt, was er fühlte.
    Sie wich seinem Blick aus. „Manchmal denke ich, dass
ich später gern einen Sohn oder eine Tochter hätte“, sagte sie. „Aber dann
denke ich wieder, dass ich all das meinem Kind nicht antun möchte. Vielleicht
ist die Menschheit an sich einfach schlecht, vielleicht kommt trotz der vielen
guten Sachen am Ende immer ein kleines Minus raus. Ich meine, es wird immer
Krieg geben, immer Hunger, Ungerechtigkeit und Lügen.“ Sie lachte. „Andererseits
passe ich aber auch ganz gut rein in diese Welt. Ich bin falsch und ungerecht
und vielleicht sogar ein schlechter Mensch.“
    „Bin ich auch.“
    „Nein“, sagte sie. „Das bist du nicht. Du wärst
vielleicht gern einer, aber du bist keiner.“ Jetzt lächelten beide.
    „Ich mag übrigens deine aufgeplatzte Lippe“, sagte
er. „Du siehst damit verwegen aus.“
    „Findest du?“ Sie strich ihm über die Schulter, dann
verließ sie das Bad.
    Francis stützte sich aufs Waschbecken und dachte
daran, dass er gleich spielen würde. Er suchte in seinem Gesicht nach
Zuversicht, fand aber keine.
     
    2
     
    Als sie sich auf den Weg zum Casino des mgm Grand
machten, herrschten draußen noch über dreißig Grad. Anne-May ging voran,
Francis konnte sehen, wie sich auf ihrem nackten Rücken einzelne Schweißperlen
bildeten. Überall blinkte und flirrte es ihnen entgegen, jedes einzelne Licht
schien um ihre Aufmerksamkeit zu buhlen. Am Straßenrand standen Ventilatoren
und zwielichtige Gestalten, die sie in Nachtclubs einluden. Hinten sauste eine
Achterbahn durch eine Miniaturausgabe von New York. Die meisten Touristen
fotografierten die spektakulär beleuchteten Gebäude, die mal wie eine Pyramide
aussahen, mal wie das Tadsch Mahal. Der mutigste Fotograf der Welt knipste
ebenfalls, und das Unglaubliche passierte, Grover wurde erkannt.
    „Hey, warst du heute nicht im Fernsehen?“, fragten
drei Jugendliche in ihrem Alter, die Grover sonst wahrscheinlich verarscht oder
rumgeschubst hätten. „Dürfen wir ein Foto von dir machen?“
    Grover nickte. Die Jugendlichen stellten sich neben
ihn, er versuchte cool auszusehen, streckte fürs Foto aber beide Daumen in die
Höhe.
    Sie kamen an eine Kreuzung. Francis wollte bei Rot
über die Straße rennen, doch obwohl kein Verkehr war, hielt ihn Anne-May fest
am Arm zurück. Es riss ihn herum.
    „Verdammt“, sagte er, „was soll das?“
    „Spinnst du?“ Sie wirkte aufgebracht. „Du kannst
doch nicht einfach so über die Straße rennen. Was, wenn plötzlich ein Auto
kommt?“
    Er sah sie entgeistert an. „Was ist denn auf einmal
mit dir los?“
    Anne-May antwortete nicht. Dann kam Grün, und sie
ging voraus. Francis und Grover tauschten fragende Blicke aus und folgten ihr.
    In der Lobby des mgm stand ein
vergoldeter Löwe.

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