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Faszination Menschenfresser

Faszination Menschenfresser

Titel: Faszination Menschenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Ludwig
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Rotkäppchensyndrom
    oder Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?
    Der Wolf hat ein Imageproblem. Kaum einem Tier wird so hartnäckig nachgesagt, ein notorischer Menschenfresser zu sein. Und das nicht allein wegen der Sache mit Rotkäppchen. In zahlreichen historischen Berichten vom Mittelalter bis hin zur Renaissance wurde »Isegrim« gerne als menschenmordendes Ungeheuer dargestellt. Das hat sich offenbar hartnäckig in unseren Köpfen festgesetzt. Auch heute noch lernt nahezu jedes Kind, sich vor dem »bösen Wolf« zu fürchten. So ist es kein Wunder, dass der letzte frei lebende Wolf in Deutschland bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erlegt wurde.
    Unsere Naturschutzorganisationen, vor allem diejenigen, die eine Wiederansiedlung des Wolfes in Deutschland propagieren, bemühen sich dagegen sehr, ein anderes Bild von den grauen Raubtieren zu zeichnen. So ist oft aus Natur- bzw. Tierschutzkreisen zu hören, dass Wölfe sich durchaus schon mal an Haustieren vergreifen würden, dass es jedoch keinen einzigen dokumentierten Fall gäbe, wonach ein gesunder Wolf einen Menschen angegriffen hätte. Der Mythos vom »Menschenfresser Wolf« sei auf aasfressende Wölfe zurückzuführen, die sich nach Kriegen oder Seuchen an Leichen gütlich getan hätten.
    Nach dem Erscheinen des sogenannten Linnel-Report , einer 2002 veröffentlichten Studie des »Norsk institutt for naturforsking«, an der 18 führende europäische Wolfsexperten beteiligt waren, kann diese Behauptung allerdings nicht mehr aufrechterhalten werden. Nach einer umfassenden Sichtung und Überprüfung von Dokumenten aus dem 16. Jahrhundert bis hin zur Neuzeit konnten die Wissenschaftler klar aufzeigen, dass in der heutigen Zeit Wolfsangriffe zwar zumindest in Europa und Nordamerika relativ selten sind, dass es jedoch in der Vergangenheit durchaus zu – übrigens gut dokumentierten – Wolfsattacken auch mit tödlichem Ausgang gekommen ist.
    Zusammenfassend kommt die Studie zu dem Schluss, dass:
    • Menschen sicherlich nicht zum »normalen« Beutespektrum eines Wolfs gehören und von den scheuen Tieren im Regelfall eher gemieden werden.
    • Angriffe von Wölfen heute zwar selten, in der Vergangenheit jedoch regelmäßig vorgekommen sind.
    • in den Fällen, in denen Menschen von Wölfen getötet wurden, die Angriffe oft von tollwütigen Wölfen verübt worden sind.
    • bei sogenannten Prädatorenangriffen, d. h. wenn Wölfe angreifen, um ihren Nahrungsbedarf zu decken, in den meisten Fällen Kinder die Opfer waren.
    • wenn Wölfe einmal zu Menschenfressern mutiert sind, sie dieses Verhalten beibehalten.
    In Frankreich wurden – folgt man historischen Aufzeichnungen zwischen 1580 und 1830 – über 3000 Menschen von Wölfen getötet. So wurde zum Beispiel 1765 das in der Nähe von Paris gelegene Städtchen Soissons zwei Tage lang von einem menschenfressenden Wolf terrorisiert. Der Wolf, der überwiegend Frauen und Kinder attackierte, verletzte insgesamt 18 Menschen, vier davon erlagen ihren Wunden. Nach einer dramatischen Verfolgungsjagd gelang es einem Bauern namens Antoine Savarelle, den Wolf mit einer Heugabel (!) so lange auf dem Boden festzuhalten, bis ein mit einer Schusswaffe bewaffneter Bauer dem Tier den Rest geben konnte. Savarelle wurde von König Ludwig XV . für seine Tapferkeit mit einem großzügigen Geldgeschenk belohnt.
    Zu großer Berühmtheit brachten es ein Jahr später die sogenannten Wölfe des Périgord, ein Rudel von menschenfressenden Wölfen, das im Februar 1766 das Périgord, eine Landschaft im Südwesten Frankreichs,heimsuchten. AltenAufzeichnungen zufolge töteten die Wölfe 18 Menschen und verwundeten zahlreiche weitere, bevor sie von den Bewohnern des Landstrichs unter tatkräftiger Hilfe eines professionellen Jägers zur Strecke gebracht wurden.
    300 Jahre zuvor, nämlich im Winter1450 , war sogar Paris von Wölfen heimgesucht worden. Ein Wolfsrudel unter der Führung eines Leitwolfs namens Courtaud (franz.: gestutzter Schwanz) drang durch Mauerbreschen in die französische Hauptstadt ein und tötete dort über 40 Menschen. Dem Vernehmen nach sollen die Pariser, als sie die Nase vom »schändlichen Treiben« der Wölfe voll hatten, Courtaud und seine Mitmenschenfresser im Zentrum der Hauptstadt zusammengetrieben und vor den Toren Notre Dames gesteinigt haben.
    Kommt man auf die Wölfe zu sprechen, die in der Vergangenheit in Frankreich Menschen getötet haben, kommt man an einem Thema nicht vorbei: der Geschichte der Bestie von

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