Fata Morgana
zufrieden. Aber im Moment sah es nicht so aus, als würde er weiterkommen. »Dann geben Sie aber in Zukunft besser Acht, was Sie tun«, sagte er.
»Jawohl, Sir. Ich verspreche es.«
Während Edgar hinausging, schüttelte Inspektor Curry bedächtig den Kopf.
»Diese pathologischen Fälle sind des Teufels!«
»Glauben Sie denn, er ist wahnsinnig, Sir?«
»Viel weniger wahnsinnig, als ich erwartet hatte. Schwach im Kopf, ein Angeber, ein Lügner – und doch von einer geradezu rührenden Einfalt. Hochgradig anfällig für Suggestion, könnte ich mir vorstellen...«
»Sie glauben, jemand hat ihm das suggeriert?«
»Aber sicher, in dem Punkt hat die alte Miss Marple Recht gehabt. Sie ist schon ein gewitztes altes Huhn. Aber ich wüsste doch gern, wer es gewesen ist. Er selbst wird es uns nicht sagen. Wenn wir nur wüssten... Kommen Sie, Lake, wir wollen die Szene in der Halle sorgfältig rekonstruieren.«
III
»Das wäre ja dann geklärt.«
Inspektor Curry saß am Flügel. Sergeant Lake saß in einem Sessel am Fenster, von dem aus man auf den See sah.
Curry fuhr fort: »Wenn ich mich auf dem Klavierhocker halb umdrehe und zur Arbeitszimmertür hinschaue, sehe ich Sie nicht.«
Sergeant Lake erhob sich leise und glitt lautlos durch die Tür zur Bibliothek.
»Diese ganze Seite des Raums war dunkel. Die einzigen Lampen, die noch brannten, waren die in der Nähe der Arbeitszimmertür. Nein, Lake, ich hab Sie nicht hinausgehen sehen. Einmal in der Bibliothek, könnten Sie durch die andere Tür auf den Flur hinausgehen – zwei Minuten, um zur Eichensuite zu laufen, Gulbrandsen zu erschießen und durch die Bibliothek auf Ihren Platz am Fenster zurückzukehren.
Die Frauen am Kamin sitzen mit dem Rücken zu Ihnen. Mrs Serrocold hat hier gesessen, rechts vom Kamin, nicht weit von der Arbeitszimmertür. Alle bestätigen, dass sie nicht aufgestanden ist, und sie war als Einzige direkt in Blickrichtung. Miss Marple war hier. Sie hat an Mrs Serrocold vorbei zum Arbeitszimmer geblickt. Mrs Strete saß links vom Kamin, dicht neben der Tür zum Flur, also in einer sehr dunklen Ecke. Theoretisch hätte sie hinausgehen und wiederkommen können. Ja, das wäre möglich.«
Curry grinste plötzlich. »Und ich könnte auch hinausgehen.« Er stand vom Klavierhocker auf, glitt an der Wand entlang und zur Tür hinaus. »Die Einzige, die merken würde, dass ich nicht mehr am Flügel sitze, wäre Gina Hudd. Und Sie wissen ja noch, was Gina gesagt hat: ›Am Anfang hat Stephen Klavier gespielt. Wo er dann hi n gegangen ist, weiß ich nicht.‹«
»Also war's Stephen?«
»Ich weiß nicht, wer's war«, sagte Curry. »Edgar Lawson, Lewis Serrocold, Mrs Serrocold und Miss Marple scheiden aus. Aber die Übrigen –« Er seufzte. »Wahrscheinlich war's der Amerikaner. Die durchgebrannte Sicherung kam gerade richtig – ein unwahrscheinlicher Zufall. Und trotzdem, irgendwie mag ich den Burschen, wissen Sie. Aber das ist natürlich kein Beweis.«
Mit zusammengekniffenen Augen sah er die Notenhefte an, die auf dem Flügel lagen. »Hindemith? Wer ist denn das? Nie gehört. Schostakowitsch! Namen sind das!« Er betrachtete den altmodischen Klavierhocker. Er klappte den Deckel hoch.
»Hier sind die altmodischen Sachen. Das Largo von Händel, Czerny-Etüden. Das meiste stammt noch vom alten Gulbrandsen. ›In des Gartens dunkler Laube‹ – das hat die Frau von unserem Pfarrer immer gesungen, als ich ein Junge war –«
Er hielt inne, die vergilbten Noten des Liedes in der Hand. Darunter, auf den Préludes von Chopin, lag eine kleine automatische Pistole.
»Stephen Restarick«, jubelte Sergeant Lake.
»Nicht so voreilig«, warnte Inspektor Curry ihn. »Zehn zu eins, dass man uns das weismachen will.«
Fünfzehntes Kapitel
I
M iss Marple stieg die Treppe hinauf und klopfte an die Tür von Mrs Serrocolds Schlafzimmer.
»Darf ich reinkommen, Carrie Louise?«
»Aber natürlich, Jane, meine Liebe.«
Carrie Louise saß vor der Frisierkommode und bürstete ihr silbriges Haar. Sie blickte über die Schulter zurück. »Ist es wegen der Polizei? Ich bin in ein paar Minuten fertig.«
»Alles in Ordnung?«
»Ja, natürlich. Jolly hat darauf bestanden, dass ich im Bett frühstücke. Und Gina brachte mir das Tablett auf Zehenspitzen ins Zimmer, als ob ich schon im Sterben läge! Ich glaube, die machen sich nicht klar, dass Tragödien wie Christians Tod für einen alten Menschen längst kein solcher Schock mehr sind. In unserem
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