Fata Morgana
Gesundheit Ihrer Mutter, Mrs Strete?«
»Nein. So unvernünftig bin ich nicht. Sicher, Mutter ist nicht mehr die Jüngste –«
»Und irgendwann müssen wir alle sterben«, sagte Inspektor Curry. »Aber möglichst nicht vor der Zeit. Das gilt es zu verhindern.«
Er hatte das mit Nachdruck gesagt. Mildred Strete wurde auf einmal lebendig. »Ach, es ist schändlich – schändlich. Offenbar geht es keinem hier nahe. Und warum auch? Ich bin die einzige Blutsverwandte von Christian. Für Mutter war er nur ein erwachsener Stiefsohn. Mit Gina ist er überhaupt nicht verwandt. Aber er war mein Bruder.«
»Stiefbruder«, korrigierte Inspektor Curry.
»Stiefbruder, ja. Aber trotz des Altersunterschieds waren wir beide Gulbrandsens.«
Curry sagte milde: »Ja – ja, ich verstehe...«
Mit Tränen in den Augen marschierte Mildred Strete hinaus. Curry sah Lake an. »Sie ist also überzeugt, dass es Walter Hudd war«, sagte er. »Kommt nicht mal im Traum auf den Gedanken, dass es jemand anderer gewesen sein könnte.«
»Und sie hat möglicherweise Recht.«
»Sicher. Bei Wally stimmt alles. Gelegenheit – und Motiv. Wenn er nämlich rasch zu Geld kommen will, muss die Großmutter seiner Frau sterben. Also präpariert er ihre Medizin, Christian Gulbrandsen beobachtet ihn dabei – oder hört irgendwie davon. Ja, es passt alles.«
Er machte eine Pause und sagte dann: »Übrigens, Mildred Strete liebt das Geld... Sie gibt's vielleicht nicht aus, aber sie liebt es. Ich weiß nicht, warum... Vielleicht ist sie geizig – Geiz als Leidenschaft. Oder sie liebt die Macht, die Geld verleiht. Vielleicht Geld für wohltätige Zwecke? Sie ist eine Gulbrandsen. Möglich, dass sie ihrem Vater nacheifern will.«
»Kompliziert, was?«, sagte Sergeant Lake und kratzte sich am Kopf.
Inspektor Curry sagte: »Wir sehen uns besser mal diesen überkandidelten jungen Lawson an, und dann gehen wir in die Große Halle und rekonstruieren, wer wo war – und ob – und warum – und wann... Ein paar interessante Dinge haben wir heute ja erfahren.«
II
Es ist sehr schwierig, dachte Inspektor Curry, sich aus dem, was andere Leute sagen, ein Bild von jemandem zu machen.
Edgar Lawson war am Vormittag von einer ganzen Reihe verschiedener Leute beschrieben worden, aber als er ihn jetzt vor sich hatte, gewann Curry einen so völlig anderen Eindruck, dass es fast zum Lachen war.
Edgar kam ihm überhaupt nicht »überkandidelt« oder »gefährlich«, »arrogant« oder gar »abartig« vor. Er erschien ihm vielmehr als ein ganz normaler junger Mann, sichtlich niedergeschlagen und in einem Zustand hündischer Ergebenheit, der schon an den von Uriah Heep heranreichte. Er wirkte jung, ein bisschen gewöhnlich und ziemlich bedauernswert.
Er war ihm offenkundig sehr darum zu tun, sich wortreich zu entschuldigen.
»Ich weiß, ich hätte das nicht tun dürfen. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist – wirklich nicht. Mich derart zu vergessen, einen solchen Aufstand zu machen. Und mit einer Pistole zu schießen. Noch dazu auf Mr Serrocold, der immer so gut zu mir ist und so viel Geduld mit mir hat.«
Er rang nervös die Hände. Es waren bedauernswert magere Hände, mit knochigen Handgelenken.
»Wenn ich dafür eingesperrt werden muss, lasse ich mich auf der Stelle abführen. Ich habe es verdient. Ich bekenne mich schuldig.«
»Es liegt keine Anzeige gegen Sie vor«, sagte Inspektor Curry steif. »Also haben wir keinen Anlass, gegen Sie vorzugehen. Mr Serrocold zufolge ist der Revolver versehentlich losgegangen.«
»Das sagt er, weil er ein so guter Mensch ist. Nie hat es einen besseren Mann gegeben als Mr Serrocold! Er tut alles für mich. Und ich vergelte es ihm, indem ich mich so schrecklich aufführe.«
»Was hat Sie denn dazu veranlasst, sich so aufzuführen?«
Edgar wirkte verlegen. »Ich habe mich lächerlich gemacht.«
»Sieht so aus«, sagte Inspektor Curry trocken. »Sie haben im Beisein von Zeugen zu Mr Serrocold gesagt, Sie seien dahinter gekommen, dass er Ihr Vater ist. Ist das die Wahrheit?«
»Nein.«
»Wie sind Sie denn darauf gekommen? Hat irgendjemand eine entsprechende Bemerkung Ihnen gegenüber gemacht?«
»Na ja, das ist nicht leicht zu erklären.«
Inspektor Curry sah ihn nachdenklich an, dann sagte er freundlich: »Versuchen Sie's doch einfach. Wir wollen es Ihnen nicht schwer machen.«
»Ja, also, wissen Sie, ich hab's als Kind nicht leicht gehabt. Die anderen Jungen haben mich immer ausgelacht. Weil ich
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