Fata Morgana
Weißt du, Pippas Mutter...«
Carrie Louise zögerte.
Miss Marple fragte: »Wer war Pippas Mutter?«
»Eric und ich hatten beschlossen, dass wir es nie jemandem sagen würden. Sie selbst hat es auch nie erfahren.«
»Aber ich wüsste es gern«, sagte Miss Marple.
Mrs Serrocold sah sie zweifelnd an.
»Nicht aus Neugier«, versicherte Miss Marple. »Ich – tja, eigentlich muss ich es wissen. Ich kann den Mund halten, das weißt du.«
»Dir konnte man schon immer ein Geheimnis anvertrauen, Jane«, sagte Carrie Louise und lächelte in der Erinnerung. »Dr. Galbraith – er ist heute Bischof von Cromer – weiß es. Aber sonst niemand. Pippas Mutter war Katherine Elsworth.«
»Elsworth? War das nicht die Frau, die ihren Mann mit Arsen vergiftet hat? Ein berühmter Fall.«
»Ja.«
»Sie wurde gehängt?«
»Ja. Aber weißt du, es ist keineswegs sicher, dass sie es wirklich getan hat. Der Mann war arsensüchtig – über solche Dinge hat man damals noch so wenig gewusst.«
»Aber sie hat Fliegenfänger damit getränkt.«
»Das Hausmädchen hat das, wie wir immer fanden, aus reiner Bosheit ausgesagt.«
»Und Pippa war ihre Tochter?«
»Ja. Eric und ich wollten dem Kind einen Neuanfang ermöglichen – mit Liebe und Fürsorge und allem, was ein Kind braucht. Es ist uns geglückt. Pippa ist – sie selbst geworden. Das süßeste, glücklichste Geschöpf, das man sich vorstellen kann.«
Miss Marple schwieg lange.
Carrie Louise erhob sich. »Ich bin jetzt fertig. Vielleicht bittest du den Inspektor oder was immer er ist, zu mir in meinen Salon zu kommen. Er wird doch sicher nichts dagegen haben.«
II
Inspektor Curry hatte nichts dagegen. Vielmehr passte es ihm ganz gut ins Konzept, Mrs Serrocold auf ihrem eigenen Territorium zu begegnen.
Während er dastand und auf sie wartete, blickte er sich neugierig um. Was er sah, entsprach so gar nicht seiner Vorstellung von dem, was er bei sich als »Boudoir einer reichen Frau« bezeichnete.
An Sitzmöbeln gab es eine altmodische Couch und mehrere ziemlich unbequem wirkende viktorianische Stühle mit gedrechselten Lehnen. Die Chintzbezüge waren alt und ausgebleicht, hatten aber ein attraktives Muster, das den Kristallpalast zeigte. Es war einer der kleineren Räume, trotzdem war er noch größer als das Wohnzimmer der meisten modernen Häuser. Er wirkte gemütlich, war aber ein bisschen überladen eingerichtet, mit den kleinen Tischchen, den Nippes und den Fotografien. Curry betrachtete eine alte Aufnahme von zwei kleinen Mädchen, das eine dunkel und lebhaft, das andere unscheinbar und mit einem verdrossenen Gesicht unter dichten Stirnfransen. Denselben Ausdruck hatte er am Vormittag gesehen. »Pippa und Mildred« stand auf dem Foto. An der Wand hing eine Fotografie von Eric Gulbrandsen, in goldenem Passepartout und schwerem Ebenholzrahmen. Curry hatte gerade ein Foto von einem gut aussehenden Mann mit Lachfältchen um die Augen entdeckt, bei dem es sich wahrscheinlich um John Restarick handelte, als die Tür aufging und Mrs Serrocold eintrat.
Sie trug Schwarz, wallendes, durchscheinendes Schwarz. Ihr rosa und weißes Gesicht wirkte ungewöhnlich klein unter seiner Krone aus Silberhaar, und sie machte einen so zarten und zerbrechlichen Eindruck, dass es Inspektor Curry einen Stich in der Herzgegend versetzte. In diesem Moment begriff er einiges, was ihm zuvor Rätsel aufgegeben hatte. Er begriff, warum alle so darauf bedacht waren, Caroline Louise Serrocold alles zu ersparen, was man ihr nur ersparen konnte.
Und doch, dachte er, ist sie keine von denen, die je Aufhebens von sich machen würden...
Sie begrüßte ihn, bat ihn, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst auf einen Stuhl in seiner Nähe. Nicht er beruhigte sie, sondern sie beruhigte ihn. Er begann, seine Fragen zu stellen, und sie antwortete bereitwillig und ohne zu zögern. Die durchgebrannte Sicherung, der Streit zwischen Edgar Lawson und ihrem Mann, der Schuss, den sie gehört hatten...
»Sie hatten nicht den Eindruck, dass der Schuss im Haus gefallen war?«
»Nein, ich dachte, dass der Knall von draußen kam. Ich dachte an eine Fehlzündung.«
»Ist Ihnen während des Streits zwischen Ihrem Mann und diesem jungen Mann im Arbeitszimmer aufgefallen, ob irgendjemand die Halle verlassen hat?«
»Wally war bereits hinausgegangen, um die Sicherung auszuwechseln. Miss Bellever ging kurz danach hinaus, um irgendetwas zu holen, ich weiß nicht mehr, was.«
»Wer hat sonst noch die Halle
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