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Fatal - Roman

Titel: Fatal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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passiert?«
    »Er hat MS.« Sarah zog ein Lederkissen glatt.
    »Wann wird er wieder gesund?«
    »Er wird nie mehr gesund.«
    »Und seit wann ist er krank?«
    »Das geht dich nichts an. Das geht nur uns etwas an.« Sarahs Stirn war auf einmal tief gefurcht. So hatte Ellen sie noch nie gesehen. Myron musste seinen Beruf aufgegeben haben. Er verdiente nichts mehr. Sarah musste ihn und die Kinder allein ernähren.
    »Ich habe das für meine Familie getan.« Sarahs Stimme blieb ruhig, ihr Blick fest. »Ich hatte keine Wahl.«
    »Warum hast du nichts gesagt? Du hättest es mir doch sagen können.« Ellen fühlte sich entwaffnet.
    »Und was hättest du mir geraten? Ich musste mich entscheiden zwischen meiner und deiner Familie. Ich habe mich für meine entschieden. Du hättest das Gleiche getan.«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Ellen nach einer langen Denkpause. Ihr fiel der Polizist im Wartezimmer der Notaufnahme
wieder ein. Er hatte von Situationen gesprochen, in denen niemand gewinnt, in denen alle Beteiligten verlieren. Sie wollte Sarah nicht mehr beschuldigen. Plötzlich wusste sie nicht mehr, was richtig, moralisch oder gerecht war. Sie konnte nicht einmal mehr sagen, was sie an Sarahs Stelle getan hätte. Sie wusste nur, dass Will nicht mehr bei ihr war und dass an dem Platz, wo einst ihr Herz gesessen hatte, eine schmerzhafte Lücke klaffte. Sie ließ sich auf die Couch fallen und verbarg das Gesicht in den Händen. Sarah setzte sich neben sie.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie.
    Ellen ließ ihren Tränen freien Lauf.

91
    Erschöpft kam Ellen zu Hause an. Sie warf Tasche und Schlüssel auf die Fensterbank und schüttelte den Schnee von den Schuhen. Als sie ihren Mantel aufhängen wollte, fiel er auf den Boden, und sie hob ihn nicht auf. Sie war hungrig, aber es fehlte ihr die Kraft, sich etwas zu essen zu machen. Auch als die Reporter mit Fragen auf sie losgestürmt waren, hatte ihr die Kraft gefehlt, sich gegen sie zu wehren. Oreo Figaro kam und strich ihr um die Beine, doch sie beachtete ihn nicht. Sie ging nach oben. Sie wollte Sals Artikel lesen.
    Wie das immer langsamer werdende Ticken einer Uhr, die bald stehenbleibt, hörten sich ihre Schritte an. Sie war ausgebrannt, nur noch ein Schatten ihrer selbst. So hatte sie sich noch nie in ihrem Leben gefühlt. Wie in Trance
schaltete sie den Computer in ihrem Arbeitszimmer ein. Ein Foto von Will mit Oreo Figaro erschien auf dem Bildschirm.
    Nein!
    Sie öffnete ihr Mail-Programm. Eine Flut von Nachrichten war inzwischen eingegangen. Sie suchte Marcelos E-Mail mit Sals Artikel, da erregte ein anderer Absender ihre Aufmerksamkeit. Sie klickte die Nachricht an und las sie sofort.
    Dann schrie sie auf und griff nach dem Telefon.

92
    Wie eine Rakete schoss Ellen hoch, sodass ihr Stuhl polternd umfiel.
    Klack, klack, klack. Sie stürmte die Treppe hinunter. Ein schneller Griff zu Schlüssel und Tasche auf der Fensterbank, Stiefel anziehen, den Mantel vom Boden aufheben - schon stand sie draußen in der eiskalten Winterluft.
    Sie warf die Haustür hinter sich zu und hastete die Verandatreppe hinunter. Schnee wirbelte auf. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Reporter kamen mit ihren Mikrofonen und Kameras auf den Schultern auf sie zu - aber Ellen behandelte sie wie Luft.
    »Wo soll’s denn so eilig hingehen?«, fragte einer von ihnen, »Ellen, was ist los? Fährst du zurück zu Sarah?«, rief ein anderer.
    Ellen kämpfte sich durch den tiefen Schnee zu ihrem Wagen.

    »Wie wär’s mit einem kurzen Statement? Bitte!« »Ellen, stell dich nicht so an!« »Was soll diese ganze Hektik? Fährst du zu Will?«
    Ellen sprang in ihren Wagen, schaltete den Motor ein und fuhr rückwärts die Einfahrt hinaus. Sie kurbelte das Seitenfenster herunter. »Verschwindet! Verschwindet alle!«, rief sie gestikulierend. »Aus dem Weg! Alle aus dem Weg!«
    »Wo fährst du hin?« »Gibt’s Neuigkeiten von deinem Sohn? Darfst du ihn sehen?«
    »Aus dem Weg! Aus dem Weg!« Ellen trat aufs Gaspedal, bis sie zur Seite sprangen. Einige riefen ihr noch Fragen hinterher, andere rannten zu ihren Autos, um sie zu verfolgen.
    »Ellen, er ist im Vier Jahreszeiten. Hast du das gewusst? Fährst du dahin?«
    »Verschwindet!« Sie raste los. Beim Einbiegen in die nächste Seitenstraße geriet ihr Wagen ins Schleudern. Sie zwang sich, kühlen Kopf zu bewahren, und brachte ihn wieder unter Kontrolle. Auf der geräumten Hauptstraße, auf der kaum Verkehr herrschte, erhöhte sie noch einmal das Tempo.

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