Faunblut
etwas, ein Vibrieren, eine Verbindung. Dann zuckte Faun zurück, als hätte er sich an ihr verbrannt, den Schlüssel fest in der Faust. Mit großen Schritten durchmaß er den Raum, griff nach der Türklinke und riss die Tür auf. Deutlicher hätte die Aufforderung nicht sein können. Jade blieb nichts anderes übrig, als den Saal zu verlassen. Mit weichen Knien trat sie auf den Gang.
»Jade?« Sie zuckte zusammen und drehte sich noch einmal zu ihm um. Faun sah sie nicht an, sondern betrachtete den Boden.
»Halte dich vom vierten Stock fern«, murmelte er. Die Tür fiel direkt vor ihrer Nase zu und der Schüssel drehte sich im Schloss.
*
Die anderen Gäste waren stets nur Eindringlinge auf Zeit gewesen, interessante, freundliche oder unfreundliche Gestalten, die kamen und gingen, ohne dem Hotel etwas anhaben zu können. Fremde, deren Gegenwart man hinzunehmen hatte, weil sie für das Essen und Tributzahlungen sorgten und dafür, dass sie und Jakub das Larimar weiterhin bewohnen durften. In dieser Nacht aber spürte Jade, dass sich etwas verändert hatte. Schon als sie in dem schmalen Zimmer auf der Westseite des Larimar den Wasserhahn aufdrehte und tatsächlich ein halbwegs klarer Strahl in das Waschbecken traf, war ihr, als würde sie ihr eigenes Hotel mit den Augen und Sinnen eines Fremden wahrnehmen: die vielen leeren Zimmer, der Verfall, die verwitterten Möbel, der ständige Geruch nach Wasser und Fluss. Im Nebenzimmer quietschten die Bettfedern, als Jakub sich stöhnend vor Schmerz im Bett umdrehte und etwas murmelte, bevor er wieder in einen unruhigen Schlaf fiel.
Jade setzte sich auf das Bett und sah durch das Fenster den Nachtwolken zu. Schritt für Schritt ging sie ihren Plan durch. Es würde sie nicht viel Mühe kosten – höchstens den Kopf, wenn Jakub davon erfuhr. Noch war es zu früh und Jade lehnte sich an den Metallbettrahmen und schloss die Augen.
Sie musste eingenickt sein, denn sie träumte von dem schwarzen Auge. Es starrte sie durch das Loch in der großen Kiste an. Faun schüttelte warnend den Kopf. Aber Jade streckte die Hand aus und berührte die Kiste. Der Effekt erschreckte sie: Die hölzernen Wände klappten auseinander wie die Blütenblätter einer riesigen Blume und fielen zur Seite. Sie konnte gerade noch zurückspringen. Wasser ergoss sich über den Boden und umfloss Jades bloße Füße. Es war kälter als Eis. »Ich habe dir doch gesagt, halte dich fern von uns«, sagte Faun vorwurfsvoll. Er beugte sich hinunter und drehte das Wesen, das zusammengekrümmt auf dem Boden der Kiste lag, auf den Rücken. Schwarze, leere Augen bückten sie aus dem Gesicht des getöteten Echos an. Eine unmenschlich lange, dolchspitze Zunge hing ihm aus dem Mund und aus seiner Stirnwunde ergoss sich das Wasserblut.
Mit einem Keuchen fuhr Jade hoch. Noch ganz benommen vom Traum, lauschte sie dem Klacken nach, das sie eben noch zu hören glaubte. Hatte sie wirklich den Fahrstuhl gehört oder war auch das Teil des Traums gewesen?
Die Vorhänge bewegten sich im Wind vor der zerbrochenen Scheibe. Der Winkel der Mondstrahlen zeigte ihr, dass sie länger als eine Stunde geschlafen hatte. Es musste also schon nach Mitternacht sein. Das Rauschen und Plätschern der Wila wurde von einem anderen Geräusch überlagert: dem Flattern von Vogelschwingen. Es musste ein kleiner Schwarm von Nachtvögeln sein, er zog am Fenster vorbei, doch Jade sah nur Schatten über die Vorhänge huschen. Sie atmete tief durch, bis ihr Herzschlag sich beruhigte. Ich erkenne einen Jäger, wenn ich ihn sehe. Es gab viele Möglichkeiten: Die Lady liebte die Jagd. Sie ritt, so erzählte man sich, gerne in die düsteren Wälder jenseits der Stadt, wo Kreaturen hausten, denen ein Mensch niemals begegnen sollte. Aber auch Menschen standen auf der Jagdliste. Und in diesen Zeiten … Echos! Konnte es sein, dass Tam aus diesem Grund gerufen worden war?
Aufmerksam lauschte sie zum Nebenzimmer, aber anscheinend war Jakub tief eingeschlafen. Leise schlüpfte sie aus dem Bett und schlich barfuß zur Tür. Der Teppich im Flur fühlte sich weich und kühl an. Wie die Zähne eines Totenschädels reihten sich die Türen auf dem dunklen Flur aneinander. Die Geräusche des Hauses – das ferne Schlagen angelehnter Türen – klangen unheimlich wie immer, und auch heute folgten ihr die Gespenster auf Schritt und Tritt und ließen einen kühlen Hauch über ihren Nacken streichen.
Und trotzdem war es heute anders. Jade verharrte an der Treppe und
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