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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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lauschte den neuen Geräuschen: Knacken und ein Rauschen in den Rohren, das es früher nicht gegeben hatte. Das Haus ächzte unter dem Gewicht der vielen Käfige und fremder Herzschlag schien durch die Räume zu hallen.
    Irgendwo über ihr regten sich die Wesen in den Käfigen – und viel näher noch, nur wenige Treppen weiter unten, schlief Faun. Wenn er schlief!
    Vorsichtig blickte sie sich um, dann lief sie los. Die Treppe schien ihre Schritte aufzufangen. Sie kannte jede Abmessung, jede Scharte im Stein.
    Die Kabine des Fahrstuhls hatte im Erdgeschoss haltgemacht, jemand war also tatsächlich hinuntergefahren, das Messinggitter stand sogar noch offen. Lautlos huschte sie am Aufzug vorbei und schlich den Flur entlang, jederzeit darauf gefasst, Tam zu begegnen. Doch niemand war hier. Sie zögerte kurz, als sie an der Tür zum Bankettsaal vorbeischlich. Nichts rührte sich dahinter, aber der schmale Streifen blassen Lichts unter der Tür zeigte, dass Faun die Vorhänge nicht zugezogen hatte und das Mondlicht in den Raum schien. Gut.
    Wenige Minuten später kletterte Jade durch das Küchenfenster auf das Steinsims. Unter ihr rauschte das nachtschwarze Wasser, als sie sich vorsichtig zu. der Wassertreppe hinüberhangelte. Das Mondlicht warf ein glitzerndes Netz von Reflexen auf die Wellen und Wirbel. Die Fenster lagen etwas höher, und sie musste ihre ganze Geschicklichkeit aufbieten, um sich leise zum Fensterbrett hochzuziehen. Mit dem nackten Fuß stützte sie sich seitlich an der steinernen Türumrandung ab, stemmte sich mit den Armen bis zum Fensterbrett hoch und spähte in den Raum.
    Die Kiste stand wie ein schwarzer Fels auf dem Marmorboden. Und der Berg daneben – das mussten die Decken sein, auf denen Faun schlief. Sie hatte erwartet, ihn dort zu sehen, aber er schien nicht da zu sein. Oder hatte er sich vielleicht in den Decken vergraben, sodass sie seine Gestalt nicht erkennen konnte? Jades Arme zitterten vor Anstrengung, aber sie zog sich noch näher an die Scheibe, bis das Glas von ihrem Atem beschlug.
    Irgendetwas war anders als heute Nachmittag. Die Kiste schien breiter zu sein. Oder lag es nur an dem veränderten Blickwinkel? Eine Bewegung ließ Jade zurückschrecken, nur mit Mühe hielt sie ihre Balance. Schatten! Ganz in der Nähe der Tür. Eine Gestalt – Faun? Und noch eine andere Bewegung. Ein seltsam zusammengeballtes Bündel aus Schwärze. Ihr Mund wurde ganz trocken. Das war ganz sicher kein Bär. Atemlos beobachtete sie das gleitende, geschmeidige Etwas – kroch es etwa? –, dann schwang die Tür auf. Das Wesen verharrte – und drehte den Kopf zum Fenster. Augen reflektierten das Mondlicht.
    Hastig duckte sich Jade und hangelte sich zur Treppe. Dort kauerte sie sich auf der obersten Stufe zusammen, vor ihr zog die ganze Katastrophe vorbei: Gleich würden die Flügeltüren aufgehen oder ein Fenster. Die Bestie würde sie angreifen. Sie würde fliehen und in den Fluss stürzen, die Strömung würde sie hinunterziehen und die bösen Kinder der Wila würden sich über ihr Blut freuen.
    Zehn, zwanzig bange Herzschläge verharrte sie, aber nichts geschah. Dann hörte sie gedämpft, wie die Tür zum Bankettsaal ins Schloss fiel.

Blutzoll
    Die Fremden schienen den Regenhimmel aus dem Nordland mitgebracht zu haben. Wie ein Witwenschleier hing der dunkle Wolkendunst über der Stadt. Die hohen Mauern des Winterpalasts verschwanden darin, als würde das Gebäude sich zum Dach hin auflösen.
    »Du meinst wirklich, dieser Faun hat das Tier rausgelassen?«, fragte Martyn.
    »Sicher weiß ich es nicht«, erwiderte Jade. »Die Tür fiel zu. Ich nehme an, dass Faun mit dem Tier nach draußen gegangen ist. Und als ich mich schließlich wieder ins Haus gewagt hatte, war im Bankettsaal alles ruhig.«
    Sie sah sich vorsichtshalber um, doch niemand achtete auf sie. Gemeinsam waren sie auf dem Weg zum Zehnthaus am Schlossmarkt. Martyn trug über der Schulter einen Ledersack mit der größten Flussmuräne, die Jade in ihrem Leben gesehen hatte. Es waren nur wenige Leute unterwegs, und je näher sie der Palastmauer kamen, desto mehr verschlossene Fenster sahen sie.
    »Und der andere Kerl? Dieser Tam?«
    Jade zuckte mit den Schultern. »Jemand ist heute Nacht mit dem Fahrstuhl nach unten gefahren. Möglich, dass er es war. Und Faun …«
    »Der Name gefällt dir, oder?«
    »Was?«
    Martyn grinste schief. »Na, du scheinst an diesem Kerl irgendetwas zu finden, so oft wie du ihn erwähnst.«
    »Spinnst du?«, rief

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