FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
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»Ich erinnere mich, dass mich diese Tage fast überforderten«, schrieb Kelley. Zu den schwierigsten Problemen, die er zu bewältigen hatte, gehörte ein prägnanter zweiseitiger Bericht, den Ruckelshaus ihm am Tag seiner Amtsübernahme übergeben hatte und in dem die dringendsten Probleme des FBI aufgelistet waren. Ganz oben auf der Liste standen die juristischen und moralischen Fragen im Zusammenhang mit den geheimdienstlichen Operationen des FBI, unter anderem die Installation von Wanzen sowie die Bespitzelung und Schikanierung der amerikanischen Linken.
Kelley war in Sachen Geheimermittlungen ein unbeschriebenes Blatt. Er hatte nie einen Einbruchdiebstahl durchgeführt oder einen mutmaßlichen Spion belauscht. Sogar von COINTELPRO hatte er noch nie gehört. »Die Methoden dieser Programme waren mir völlig unbekannt«, schrieb er. »Das waren ganz neue Erkenntnisse für mich.« Als er von den geheimsten Operationen des FBI hörte, wusste er sofort, dass er sie eindämmen musste. »Es war eine heikle und sensible Angelegenheit, dieses Zurückrudern«, erzählte er. Aber er zog es durch.
Am 5. Dezember 1973 schickte er eine schriftliche Anweisung an alle 8767 Agenten des FBI. Er befahl ihnen, alle »Ermittlungsaktivitäten zu unterlassen, die die verfassungsmäßig garantierten Bürgerrechte in irgendeiner Weise verletzen könnten«. Er begann, das System der nationalen Sicherheit zurückzufahren, das Hoover aufgebaut hatte. Am Ende gab das FBI 94 Prozent seiner Geheimermittlungen im Inland auf; mehr als 9000 ungelöste Fälle wurden aus den Akten gestrichen, Posten und Ämter auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit in die Criminal Investigative Division verschoben, die Abteilung für Ermittlungen in Strafsachen, und mindestens 645 Agenten von der Jagd auf Radikale abgezogen und auf die Verfolgung gewöhnlicher Straftäter angesetzt.
Kelley setzte der Allmacht der nachrichtendienstlichen Abteilung des FBI ein Ende. Sie wurde erst an der Wende zum 21. Jahrhundert in vollem Umfang wiederhergestellt. In den folgenden Jahren bewegten sich die FBI-Agenten, die in Amerika Terroristen jagten, in einer Rechtswüste und suchten nach Wegweisern, um sich auf unbekanntem Terrain zurechtzufinden.
37
Ein Kartenhaus
Das Nachbeben nach dem Zusammenbruch der Nixon-Regierung erschütterte auch das FBI in seinen Grundfesten. Nixon hatte befürchtet, das FBI werde die Offenlegung seiner Geheimnisse nicht überleben. Eine prophetische Voraussage.
Das FBI wehrte sich vor einem Bundesgericht gegen die Offenlegung seiner COINTELPRO-Akten. Als dann aber eine dieser Akten einem alten Feind in die Hände fiel und die ersten Geheimnisse durchsickerten, »brach das ganze Kartenhaus in sich zusammen«, sagte Homer Boynton, der Verbindungsmann des FBI zum Weißen Haus, gegenüber dem Kongress und der CIA.
Der Feind war die Socialist Workers Party, die Sozialistische Arbeiterpartei, mit kaum 2000 Mitgliedern. Die Partei hatte innerhalb des politischen Systems der Vereinigten Staaten agiert, wenn auch am linken Rand. Ihre Präsidentschaftskandidaten hatten nie mehr als den Bruchteil eines Prozents der Wählerschaft für sich gewonnen. Die Ermittlungen des FBI gegen die Sozialisten hatten 1941 zur Verurteilung der Parteiführung wegen politischer Aufwiegelung geführt. In den 1950er und 1960er Jahren infiltrierte das FBI die Partei bis in ihren innersten Kern hinein. Hunderte Parteimitglieder, unter ihnen lokale und nationale Funktionäre, waren Informanten des FBI. Aber keiner von ihnen lieferte jemals den Beweis, dass die Partei an Spionage, Umsturz, Gewalt, Verschwörung oder anderen Verstößen gegen Bundesgesetze beteiligt war. Kein Mitglied war je aufgrund eines terroristischen Akts vor Gericht gestellt oder auch nur eines solchen Akts verdächtigt worden.
Die erste gerichtliche Offenlegung von FBI-Akten nach dem Freedom of Information Act (dem Gesetz über die Auskunftspflicht öffentlicher Einrichtungen) datiert vom 7. Dezember 1973. Die Dokumente enthielten Hinweise darauf, dass das FBI mehr getan hatte, als die Partei nur zu unterwandern. Die Sozialisten entdeckten bald, dass sie Ziel einer umfassenden COINTELPRO-Operation gewesen waren.
Sie verklagten die Regierung der Vereinigten Staaten, das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Rede- und politische Versammlungsfreiheit verletzt zu haben. Der zuständige Richter Thomas P. Griesa, ein junger Republikaner, der kurz zuvor von Präsident Nixon ernannt worden war,
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