FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
Liste seiner Zuständigkeiten stand jetzt auch der Lauschangriff auf diplomatische Niederlassungen der Sowjetunion in den Vereinigten Staaten, zum Beispiel Amtorg, das Wirtschafts- und Handelsbüro der Sowjets in New York, das Millionenbeträge für den Ankauf amerikanischer Technologie ausgab.
Im April 1941 begann das FBI, einer Warnung der Briten folgend, gegen Amtorg wegen Spionage zu ermitteln. Tyler Kent, ein neunundzwanzigjähriger Amerikaner, der sein Studium in Princeton abgebrochen hatte, war seit sechs Jahren als Sachbearbeiter an US-Botschaften in Moskau und London tätig. Bei der Observierung eines mutmaßlichen Nazi-Agenten waren die Briten dem Verdächtigen zu Kents Londoner Wohnung gefolgt. Als sie in das Apartment einbrachen und es durchsuchten, entdeckten sie 1500 Abschriften von diplomatischen Telegrammen, Codes und Chiffren der Amerikaner. Kent hatte seine Zeit in den Botschaften damit zugebracht, codierte Mitteilungen zu klauen und an Agenten der Sowjetunion und der Achsenmächte weiterzuleiten. Dank seiner Tätigkeit konnten Moskau und Berlin die Verschlüsselungen der Amerikaner lesen, die für diplomatische Geheimbotschaften zwischen London und Washington verwendet wurden.
Unter den von Kent gestohlenen Dokumenten war ein Bericht des britischen Nachrichtendienstes über Sowjetagenten, die für den Leiter des New Yorker Amtorg-Büros arbeiteten, den zweiundvierzigjährigen Chemieingenieur Gajk Baladowitsch Owakimjan.
Am 5. Mai 1941 verhaftete das FBI Owakimjan unter dem Vorwurf, er habe gegen den neuen Foreign Agents Registration Act verstoßen, ein Gesetz, das von jedem, der in den Vereinigten Staaten ausländische Propaganda verbreitete, die Registrierung beim Außenministerium verlangte. Aber bevor ihn das FBI vernehmen konnte, wurde er gegen eine Kaution von 25000 Dollar in die Obhut des sowjetischen Generalkonsuls in New York übergeben. Zehn Wochen später, nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, ordnete das Außenministerium an, die Anklage als diplomatische Geste gegenüber Moskau fallenzulassen. Owakimjan reiste aus und kehrte nie wieder zurück.
Daheim in Moskau wurde er Leiter der sowjetischen Geheimdienstoperationen gegen die Vereinigten Staaten.
Eine erfolgreiche Vernehmung und strafrechtliche Verfolgung Owakimjans hätte den Lauf der Geschichte ändern können. Erst Ende der vierziger Jahre begriff man beim FBI, dass er bereits seit 1933 in New York als Spionagechef der Sowjets und als Leiter des sowjetischen Geheimdienstes in Nordamerika tätig gewesen war; dass er in Amerika Zellen aufgebaut hatte, die von einem Netzwerk von sicheren Wohnungen, Verbindungsoffizieren und Kurieren unterstützt wurden; dass seine Spionagenetzwerke quer durch die Vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada aktiv waren. Stalins Säuberungen in den 1930er Jahren hatten zwar den sowjetischen Geheimdienst zerstört, Owakimjan aber hatte überdauert.
Das war nicht die einzige verpasste Chance, Schlüsselfiguren der sowjetischen Spionage in Amerika aufzuspüren. Kurz vor seiner Verhaftung hatte das FBI Owakimjan observiert, als er zu einem Treffen mit Jacob Golos unterwegs war, der in den 1930er Jahren eine Agentur für Reisen nach Russland führte. Golos war erst 14 Monate zuvor wegen Passfälschung und Verstoß gegen das Ausländererfassungsgesetz überführt worden und zu einer Geldstrafe von 500 Dollar und einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Erst Jahre später erfuhr das FBI, dass Golos zu den ranghöchsten Mitgliedern der Kommunistischen Partei in Amerika zählte und als unverzichtbarer Mittelsmann zwischen dem sowjetischen Nachrichtendienst und den amerikanischen Kommunisten im Untergrund diente. Owakimjan hatte die Kontrolle über sein Netzwerk amerikanischer Agenten und Kuriere vor seiner Rückkehr nach Moskau an Personen abgegeben, deren Namen weltberühmt werden sollten.
Am 5. Mai 1941, jenem Tag, an dem das FBI Owakimjan verhaftete, erhielt der japanische Botschafter in Washington, Kichisaburo Nomura, ein alter Freund Präsident Roosevelts, ein Bulletin von seinem Außenministerium in Tokio: »Mit höchster Wahrscheinlichkeit liest die Regierung der Vereinigten Staaten Ihre verschlüsselten Botschaften.« [150]
Diese verblüffende Nachricht stammte von den Deutschen. Sechs Monate lang hatten Heer und Marine den diplomatischen Depeschenverkehr entschlüsselt, der durch ein System namens Purple codiert war. Die so gewonnenen Nachrichten erhielten den Codenamen Magic.
Am 20. Mai
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