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Federschwingen

Federschwingen

Titel: Federschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Seidel
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manipulieren, aber er schaffte es. Kaum, dass die Tür offen war, schickte er einen Ruf an Leonard und stürzte in die Zelle.
    „Erael!“ Das, was eigentlich ein Ausruf hätte sein sollen, war ein schwaches Flüstern. Dantalion zitterte am ganzen Körper, als er auf den gefesselten Engel zu stolperte und schließlich mit bebenden Fingern die Eisenringe um seine Handgelenke öffnete.
    „Verdammt noch mal, seid ihr beide komplett verrückt geworden!“ Nie zuvor hatte Leonards strenge, tiefe Stimme für Dantalion so gut geklungen wie jetzt. Schlagartig löste er die Verbindung zu Seere, was das Zittern seiner Muskeln endlich stoppte. Daher konnte er Erael auffangen, als der aus seiner gestreckten Haltung zusammenklappte und beinahe zu Boden ging.
    „Ich …“ Seere wollte anscheinend zu einer Erklärung ansetzen, doch Leonard fiel ihm erbarmungslos ins Wort: „Halt den Mund, Seere! Ich will von dir kein einziges Wort hören! Du verschwindest auf der Stelle und berichtest dem Hohen Rat, was du getan hast!“
    Dantalion beobachtete, wie sich Seeres Konturen anspannten. Ein bitterböser Blick traf ihn, es gab einen lauten Knall und Seere war verschwunden. Leonards Gabe, absolute Befehle auszusprechen, denen man zwangsweise gehorchen musste, war Gold wert und machte ihn zum geborenen Anführer. Glücklicherweise besaß Leonard genug Verstand, um sich nicht von seiner heimlichen Liebe zu Seere für das Wesentliche blenden zu lassen.
    „Danke“, sagte Dantalion leise zu seinem Boss.
    „Kümmer’ dich um den Engel“, wies Leonard ihn unverbindlich an und verschwand nach oben. Das hier war kein Ort für einen Mann im Anzug.
    Jetzt erst bemerkte Dantalion, wie schwer Erael in seinen Armen wog. Er war deutlich größer als er, aber schlank genug, dass er ihn halten konnte.
    „Ich bringe dich nach oben. Kannst du mir dabei helfen?“, fragte er Erael.
    Die Antwort war ein raues Stöhnen. Er fühlte, wie Erael versuchte, seine Beine dazu zu bewegen, sein Gewicht selbstständig zu tragen. Immer wieder knickten ihm die Knie weg, und jedes Mal stützte Dantalion ihn. Langsam und unsicher steuerten sie auf die Tür zu, durch den unebenen Gang, zur Treppe. Dantalion schätzte, dass die Stufen das größte Problem werden würden. Eraels Beine zitterten spürbar, es war alles andere als sicher, dass sie ihn bis in den ersten Stock tragen würden.
    „Ich schaff das. Keine Sorge.“ Dantalion blinzelte überrascht, bis ihm aufging, dass er zwar den Link zu Seere, aber nicht die Verbindung zu Erael gekappt hatte, die er zuvor ganz automatisch hergestellt hatte.
    „Ich weiß“, antwortete er, legte seinen Arm fester um Eraels Taille und hievte ihn so Stufe für Stufe nach oben. Als sie endlich die Tür zum Erdgeschoss erreichen, war er außer Atem und von Kopf bis Fuß durchgeschwitzt. Er verfluchte die Tatsache, so angeschlagen zu sein, doch die Hälfte hatten sie immerhin geschafft.
    Natürlich hätte er ihn auf die Couch legen können, aber das wollte er nicht. Er wollte Erael bei sich im Zimmer wissen, für den Fall, dass Seere zurück oder Leonard auf dumme Gedanken kommen würde.
    Erael war trotz seiner Schmerzen klar im Kopf, dachte in strukturierten Bahnen und konzentrierte sich mit seinem gesamten Denken aufs Laufen. Unglaublich, wie diszipliniert dieser Mann war. Gemeinsam schafften sie die letzten Stufen nach oben. Erael hinterließ ein paar Federn und Blutstropfen auf dem Weg. Seere hatte ganze Arbeit geleistet und ihn stellenweise kahl gerupft. Fliegen konnte Erael in diesem Zustand sicher nicht mehr, selbst wenn er sich schnell erholte. Ohne Schwungfedern fehlte einfach der nötige Antrieb.
    Oben angekommen setzte er Erael auf sein Bett. Kraftlos ließ sich der Engel auf die Seite sinken, ein unterdrückter Laut, eine Mischung aus Schluchzen und Stöhnen, kam ihm über die Lippen und löste bei Dantalion eine Gänsehaut aus.
    „Bleib liegen, ich bin gleich zurück.“ Seine Beine waren ebenfalls nicht mehr die sichersten, doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er rannte ins Bad, holte Verbandszeug, saubere Tücher, die er kurz unter heißes Wasser hielt, und einen weißen Cremetiegel, mit dessen Inhalt er Eraels Wunden und die gerupften Flügel behandeln wollte. Die Salbe war ein Höllenprodukt, allerdings konnte er sich nicht vorstellen, dass sie bei einem Engel nicht wirkte. Sie teilten schließlich dieselben Wurzeln, waren beide aus Fleisch und Blut. Mit dieser Ausrüstung beladen kehrte er in

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