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Federschwingen

Federschwingen

Titel: Federschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Seidel
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Jugendlichen kümmern sollte. An sich war Dantalion die ganze Sache zuwider. Dieser Typ, Robert, war eine Idealbesetzung für einen künftigen Vertragspartner. Solche Leute kamen auf die schiefe Bahn und wendeten sich gern an die Mächte der Finsternis, um zu Ruhm und Macht zu kommen, was sie in der Gosse nie bekommen würden. So gute Angebote wie die Dämonen machte ihnen niemand. Viele erfolgreiche Nachtclubbesitzer waren Vertragspartner, die ursprünglich selbst im horizontalen Gewerbe, im Drogenhandel oder als Waffenschieber gearbeitet hatten.
    Und jetzt sollte er einen dieser potenziellen Partner auf die rechte Bahn lenken. Oder zumindest ihn für Erael auslesen. Na großartig. Wozu er sich herabließ, um diesen Engel ficken zu können, war doch wirklich unter seiner Würde! Und doch konnte er nicht von ihm lassen, dachte unentwegt an ihn, vermisste ihn und holte sich einen auf ihn runter. Viermal, seit der Sache mit dem Spiegel. Das war selbst für Dantalions Verhältnisse außerordentlich viel. Zum wohl hundertsten Mal schaute er auf die Uhr. Endlich war es soweit: In ein paar Minuten musste er losfliegen, um sich mit Erael vor dem Jugendwohnheim zu treffen. Er bückte sich und schnürte die schweren Stiefel zu, holte anschließend die Lederjacke vom Haken und klemmte sie sich unter den Arm. Anziehen konnte er sie beim Fliegen nicht, weil sie keine Löcher für seine Flügel hatte.
    Wie üblich kletterte er auf sein Fensterbrett und sprang ins Freie. Manchmal beneidete er Seere um seine Fähigkeit der Translokalisation, heute jedoch nicht. Der Flugwind war zwar eiskalt, aber die Sonne schien und die Luft war klar und trug Schneegeruch. Netter Nebeneffekt war, dass der kurze Flug seinen Kopf frei pustete, was er gleich brauchen würde. So einfach , wie Erael sich das vorstellte, war es nämlich nicht, jemanden vollständig auszulesen. Dantalion schätzte, dass er hinterher gewaltige Kopfschmerzen und als kleines Extra Probleme damit haben würde, sich selbst wieder zu finden. Selbstverständlich beherrschte er die Technik, die er für diese Aufgabe brauchte, doch sogar Leonard schreckte davor zurück, ihn einen Verstand vollständig lesen oder ihn gar komplett übernehmen zu lassen. Dantalion hoffte, dass es diesmal nicht so schlimm für ihn werden würde, nachdem er frisch von einem Höllentrip kam.
    Er schaute nach unten, die Menschen sahen wie Ameisen aus und die Autos und Gebäude wie Modelle einer H0-Eisenbahn. Einmal kreiste er über dem Viertel, in dem sich sein Ziel befand, ging in gemächlichen Sinkflug über, bei dem er zuletzt mit einem eleganten Schritt vor Erael Bodenkontakt bekam. Seine Schwingen dematerialisierten sich, er schlüpfte in die Lederjacke und kämmte mit allen zehn Fingern durch die Locken, um sie aufzuwuscheln.
    „ Guten Morgen!“ Eraels Begrüßung war rau und ließ ein warmes Kribbeln in seinem Magen aufbranden.
    „Ich denke, der Abend wird besser werden“, entgegnete Dantalion und grinste Erael breit an, der daraufhin den Blick abwendete.
    Niedlich, wie schüchtern er tat, obwohl er so eine sexy verruchte Seite in sich trug, die Dantalion zu fördern gedachte.
    „Robert ist gerade mit den anderen beim Unterricht. Ich denke aber, dass er in der Frühstückspause herauskommen wird, um zu rauchen. Wie lange dauert es, bis du weißt, was ihn dazu antreibt, sich so zu verhalten?“
    „Kommt drauf an, wie tief seine Motive vergraben liegen. Oft ist es bei Jugendlich en so, dass die wahre Persönlichkeit von einem Mix aus Unsicherheit und Hormonen ü berlagert wird. Die sind nicht sie selbst in dieser Zeit, das ist bei den Menschen wirklich eindrucksvoll, wie sehr sich Teenies in dieser Lebensphase verändern können.“
    Erael nickte. „Sie sind einfach auf der Suche nach sich selbst. Und die Pubertät macht das nicht gerade leichter.“
    „Tja, die Suche nach sich selbst kann auch mal länger dauern, was?“
    Erael machte ein Gesicht, als wäre er bei etwas erwischt worden. Treffer, versenkt! Also war Erael sich in Bezug auf sich selbst ebenfalls nicht ganz sicher. Um den Anschein zu erwecken, er habe es nicht darauf angelegt, fügte Dantalion hinzu: „Immerhin ist der Junge schon wie alt? Achtzehn?“
    „Siebzehn.“
    „Nun, wir werden sehen, wie lange es dauert.“ Er hatte kaum geendet, als eine Tür knallte und schwere Schritte in einem der oberen Stockwerke polterten. Dem steigenden Lärm nach zu urteilen, kam jemand mit ‚hervorragender‘ Laune die Treppe herunter.

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