Feenfuchs und Feuerkuss
sich bildhaft
vorstellen, wie Mollys Mutter furiengleich durch die Stallgasse tobte, auf der
Suche nach den kleinen Übeltätern.
Ingrid Valentin, eine groß
gewachsene Erscheinung mit kurzen, dunkelblonden Haaren, hatte im Hause
Valentin die Hosen, besser gesagt die Reithosen, an. Wenn sie nicht Reitunterricht
gab oder sich um die Pferde kümmerte, saß sie auf dem Trecker oder feilte an
dem gepflegten Erscheinungsbild des alten Bauernhofes. Molly hatte von ihrer
Mutter jedenfalls nur die blonden Haare geerbt, ansonsten kam sie nach ihrem
Vater.
Theodor Valentin war Professor
für Geschichte des Mittelalters und immer, wenn Luisa den Historiker sah,
klemmte unter seinem Arm die Erstausgabe irgendeines Klassikers. Es konnte
passieren, dass er seine erlesene Bibliothek tagelang nicht verließ und wenn er
sprach, fühlte man sich immer in eine vergangene Zeit versetzt, so altmodisch
drückte er sich aus.
Ingrid Valentin hatte es schon
längst aufgeben, aus ihrer Tochter eine erfolgreiche Turnierreiterin zu machen.
Auch wenn Molly sehr talentiert war, verspürte sie nicht das Verlangen, ihr
Pferd jedes Wochenende über einen anderen Turnierplatz zu scheuchen. Sie nahm
mit ihrem Friesen Mr. Darcy lieber an Quadrillevorführungen teil und ritt mit
ihren Freundinnen durch die Wiesen und Wälder.
Während Molly von weiteren
Vorkommnissen berichtete, stieg in Luisa die Sehnsucht auf: Sie wollte so gerne
mit Ophelia zurückkehren. Sogar Mollys freche Zwillingsbrüder Lutz und Henry
fehlten ihr. Der Valentinshof war wie eine zweite Heimat für Luisa.
„Trautes Heim, Glück allein!“,
rief Luisa, als sie aus der Schule zurück war, in die Stille des Hauses hinein
und warf ihre Schultasche neben die Garderobe im Flur.
In der Küche fand sie nichts
Essbares, zumindest nichts, was sie sich auf die Schnelle hätte kochen können.
Sie begnügte sich mit einer Handvoll Weintrauben und holte erst einmal die
Dusche nach, auf die sie am Morgen hatte verzichten müssen.
Nachdem sie das Bad in heißen
Dampf gehüllt hatte, warf sie einen Blick auf ihr Handy. Und wurde plötzlich
hektisch.
‚Bin in 15 min. da‘, stand da im
Chat mit Sam, ‚Hast du schon gegessen?‘
Sie antwortete: ‚Nein. Warum?‘
Hastig kämmte sie ihre Haare. Es
ziepte höllisch, weil ihre Locken sich gegen sie verschworen hatten.
Ihr Handy vibrierte, als Sam
antwortete: ‚Dann bringe ich dir was mit.‘
Sie schrieb nicht mehr zurück,
sondern nutzte die verbleibende Zeit, um den Fön auf ihren Kopf zu halten, sich
anzuziehen und ihre Wimpern zu tuschen.
Dann klingelte es schon.
Vor ihrer Tür stand der Junge mit
Wuschelkopf, der es irgendwie schaffte, ihre Stimmbänder lahm zu legen.
„Hi“, sagte Sam.
Luisa lächelte und machte den Weg
in den Flur hinein frei.
„Ich habe dir Spätzle
mitgebracht.“ Sam überreichte ihr eine Plastikdose mit grünem Deckel.
„Oh. Danke.“ Sie nahm das Essen
entgegen und brachte es in die Küche.
Sam folgte ihr. „Magst du
Käsespätzle?“ Er stellte seinen Rucksack auf einen Stuhl und schob die Ärmel
seines schwarzen Longsleeves hoch.
Luisa räusperte sich. „Auf jeden
Fall. Ich hab auch tierisch Hunger.“
„Tierisch Hunger“, wiederholte
Sam und lächelte schwach. Trotzdem war das zuviel für Luisas Wangen, sie waren
in null Komma nichts rot.
Sie wandte sich den
Küchenschränken zu, holte einen Teller heraus und stellte die Spätzle in die
Mikrowelle.
„Willst du etwas trinken? Es gibt
allerdings nur Kranwasser oder Maracujasaft.“ Sie lächelte betreten.
„Wasser ist gut“, antwortete er.
Luisa füllte ein Glas mit
Leitungswasser und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Vielleicht half es, damit
sie sich nicht weiter wie ein schüchternes Grundschulmädchen benahm. Das
Wasserglas lief über und Luisa verlor die Hoffnung, dass ihre Bitte erhört
würde.
„Wow. Das hast du selbst gekocht?“,
fragte Luisa und nahm noch eine Gabel der himmlischen Käsespätzle.
„Ja“, sagte Sam und sah stolz
drein.
„Klasse“, sagte Luisa kauend, „Wirklich
lecker!“
„Schön, dass es dir schmeckt.“ Er
las sich gerade durch, was sie heute in Englisch gemacht hatten.
‚Irgendeinen Dichter‘, hatte
Luisa gesagt.
‚Shakespeare ist nicht irgendein
Dichter‘, hatte Sam geantwortet und sie düster angestarrt.
Und während sie weiter die
köstlichen Spätzle aß, begann Sam die Verse vorzulesen, die Herr Barnes ihnen
heute vorgelegt hatte.
„Jetzt du“, sagte Sam.
Luisa sah ihn mit
Weitere Kostenlose Bücher