Feenkind
Wege gegangen." Ironisch verzog sie ihren Mund. "Ich bin eben nicht für Heim und Herd geschaffen. Soweit ich gehört habe, ist er auch bereits verstorben. Er war ein guter Mann, auch wenn er den Fehler begangen hatte, mich zu heiraten."
Gern hätte Dhalia noch mehr über das faszinierende Leben der alten Frau gehört, doch die verstummte und neigte sich wieder über die vor ihr liegende Karte.
Am frühen Nachmittag brachen Dhalia und Chris schließlich zu dem See mit dem Wasserfall auf. Dhalia, die sich unter Lenutas forschenden Blicken unbehaglich fühlte, drängte und Chris widersprach ihr nicht. Es war deutlich, dass die alte Frau Chris nur ungern in Dhalias Begleitung losziehen ließ. So gern sie die junge Frau auch persönlich haben mochte, sie war ihr ein Rätsel und Lenuta war noch immer davon überzeugt, dass sich der Umgang für Chris als äußerst gesundheitsschädigend entpuppen konnte. Doch sie sagte nichts mehr dazu.
Beim Abschied reichte sie Chris eine Kette aus getrockneten Hirealis, die in kleinen Harztropfen verschlossen waren. "Sie sind nicht so wirksam wie die frischen Fürchte, doch es reicht, um kleinen Schaden abzuwenden und dir einige Augenblicke Zeit zu verschaffen", erklärte sie, während sie ihm die Kette reichte.
"Danke", erwiderte Chris aufrichtig. Er war sich nicht sicher, ob er an den ganzen pflanzlichen Hokuspokus, den Lenuta so gerne betrieb, glaubte, doch er wusste die Geste zu schätzen. "Hast du auch eine für Dhalia?" erkundigte er sich dann plötzlich.
"Leider nicht. Doch ich glaube, sie kann ganz gut auf sich allein aufpassen."
Chris wollte schon aufbrausen, doch Lenuta hob Schweigen gebietend die Hand. "Ich habe allerdings einen Rat für dich", wandte sie sich an die junge Frau, die ihren Kopf neugierig neigte. "Wenn du dich einmal entschieden hast, einen Weg zu gehen, und ich denke, das hast du, dann darfst du nicht zurückblicken und keine Zweifel haben. Du bist stärker, als du jetzt vielleicht noch denkst."
Dhalia nickte ernst.
Als Chris und sie schließlich aufbrachen, dachte sie noch lange über Lenutas Worte nach. Sie erinnerten sie sehr an den Traum, den sie in ihrem Haus gehabt hatte. Wann immer Dhalia an Lenutas Abschiedsworte und an ihren Traum zurückdachte, fühlte sie sich seltsam getröstet. Als könnte ihr trotz aller Gefahr nichts passieren. Als würde ihre unbekannte, ferne Mutter über sie wachen. Denn daran, dass sie im Traum ihre wirkliche Mutter gesehen hatte, hatte Dhalia keinen Zweifel. Zu groß war die Ähnlichkeit in dem Gesicht, das zu ihr herunter geschaut hatte, mit ihren eigenen Zügen gewesen. Zu groß war die bedingungslose Liebe, die in den grünen Augen strahlte, als dass noch eine andere Erklärung für diese Erscheinung möglich gewesen wäre. Und es tröstete Dhalia sehr, dass ihre Mutter sie geliebt hatte. Sie konnte sich zwar keinen Grund vorstellen, wieso sie es getan hatte, doch sie hatte ihre Tochter zumindest nicht gerne verlassen. Dies war für Dhalia ein weiterer Grund, der sie bei der Suche nach der
Anderen
vorantrieb. Vielleicht würde es ihnen gemeinsam gelingen, das Rätsel um ihrer beider Geburt zu lüften.
* * *
Müde schlenderte Eliza durch die verlassenen Straßen von Brahmen. Der Saum ihres Kleides war vom Schlamm der durch Regen aufgeweichten Erde schmutzig und schwer, doch das kümmerte sie schon lange nicht mehr.
Als sie in der Stadt angekommen war, war sie noch ganz von der Kraft der verbotenen Quelle erfüllt gewesen. War sich sicher gewesen, dass sie wie im Kloster allein mir ihrem Geist nach den Flüchtlingen würde suchen können. Doch die quirlige Stadt voller Menschen mit ihren unbeherrschten Gedanken und Emotionen, den niederen Motiven und Bedürfnissen war zu viel für sie gewesen. Der mentale Ballast der Stadt zehrte zu stark an ihren Kräften und erfüllte ihren Kopf mit ständigem Lärm. So war ihr nichts anderes übrig geblieben, als sich zurückzuziehen und abzuwarten, bis die Kraft der Quelle, auf die sie so sehr gebaut hatte, wieder verebbte.
Zumindest hatten ihre verstärkten Kräfte es ihr erlaubt, den ihr treu ergebenen Jonah zu kontaktieren. Es war ihr gelungen, ihm eine Traumbotschaft zu senden, etwas, das sie noch nie zuvor versucht hatte. Und nun konnte sie bloß hoffen, dass er ihr auch tatsächlich Folge leistete.
Eliza hätte vor Wut schreien können, während sie untätig in ihrer Kammer hockte und versuchte, ihren Geist vor dem Lärm der Stadt abzuschirmen.
Der Wirt hatte großen Respekt
Weitere Kostenlose Bücher