Feenkind
"Also, warum schleicht Ihr Euch heimlich davon, ohne mir Bescheid zu sagen? Ich dachte, wir sind Partner."
Dhalia zog es vor, ihn nicht danach zu fragen, wie er auf diese Idee kam. Es war nicht wichtig. "Dahin, wohin ich will, wäret Ihr sowieso nicht gegangen", sagte sie trotzig.
"Wohin wollt Ihr denn?" fragte Christopher argwöhnisch. Er ahnte bereits, was sie ihm antworten würde.
"Ich gehe nach Annubia!" Stolz wandte sie sich ab und schrie erschrocken auf, als sich Christophers Finger schmerzhaft um ihren Oberarm schlossen.
Er riss sie kräftig zurück. "Sagt das noch mal!" zischte er.
"Ich gehe nach Annubia", wiederholte sie fest. Sie versuchte, sich loszureißen, doch er war darauf vorbereitet und hielt sie fest.
"Tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen", sagte er mit gefährlich ruhiger Stimme. "Ich habe zuviel in Euer Leben investiert, um es jetzt einfach so wegzuwerfen."
Entrüstet schnappte Dhalia nach Luft. Er tat ja geradezu so, als würde ihr Leben jetzt ihm gehören. Sie spürte den starken Wunsch in sich aufsteigen, ihn einfach zu Boden zu schlagen, um endlich mal ihre Ruhe zu haben. Doch sie schob diese verlockende Vorstellung bedauernd beiseite. Es hatte schon beim letzten Mal nicht den erhofften Effekt gehabt. Kaum war er wieder auf den Beinen, würde er wer weiß was anstellen, um sie zu finden. Beim nächsten Mal würde er ihr vielleicht gleich einen Drachen auf den Hals hetzen, nur um sie aufzuhalten. Nein, er musste einsehen, dass es ihr Weg war und dass sie ihn alleine würde gehen müssen.
Ihr Blick wurde weich, beinahe flehend. "Versteht doch, ich muss nach Annubia. Sie war meine Freundin, ich muss erfahren, was ihr zugestoßen ist." Tränen traten ihr in die Augen. Tränen, die sie zu lange zurückgehalten hatte.
"Oh", sagte Christopher besänftigt und ein wenig ratlos. Linkisch legte er einen Arm um die schluchzende junge Frau und tätschelte ihr unsicher die Schulter. "Ihr könnt Eurer Freundin nicht helfen, wenn Ihr tot seid", sagte er eindringlich. "Elizas Spione würden Euch sofort entdecken. Sie lässt Annubia bestimmt überwachen."
"Aber ... ich muss doch Kalla helfen." Zwei tränennasse Augen blickten ihn Hilfe suchend an.
Rasch wandte Christopher seinen Kopf ab. Kein Mann würde so einem Blick standhalten können. Obwohl er wusste, dass es Wahnsinn war, spürte er in sich das Bedürfnis aufsteigen, ihren Wunsch zu erfüllen, nur um ihre Tränen wieder zu trocknen. Aber dadurch hätten sie nichts gewonnen.
"Ich bin sicher, Eurer Freundin geht es gut. Wenn sie verletzt ist, gibt es bestimmt andere Menschen, die sich um sie kümmern können." Und wenn sie tot ist, würde es erst recht nichts bringen, ihrer beider Leben aufs Spiel zu setzen, fügte er in Gedanken hinzu.
Dhalia nickte stumm. Ihre Gedanken schienen in eine ähnliche Richtung gegangen zu sein, denn sie wischte energisch ihre Augen trocken. Dann sah sie Christopher erwartungsvoll an. Und nun? schienen ihre Augen ihn zu fragen.
Bevor er antworten konnte, hörten sie ein lautes Poltern durch das Fenster in Dhalias Kammer dringen.
"Anscheinend haben sich die Kerle endlich genug Mut angetrunken", bemerkte Chris trocken. "Wir sollten lieber von hier verschwinden. Nichts bringt einen Mann mehr in Rage, als um Erfüllung betrogene Leidenschaft." Er packte Dhalia an der Hand und zog sie mit sich fort.
"Wohin gehen wir?"
"Egal. Hauptsache erst einmal fort von hier. Morgen sehen wir dann weiter."
Sie zögerte noch immer.
"Vertraut mir, kommt schon."
Sie lächelte leicht. Sie vertraute ihm zwar nicht, aber sie würde trotzdem mit ihm gehen. In ihrem Kopf reifte schon die kühne Idee heran, wie diesmal
sie
Christopher für ihr Ziel einspannen konnte.
Er holte ihre Pferde. Und in dem Augenblick, als wütende Schreie davon zeugten, dass die verschlossene Tür der Wucht der Leidenschaft endlich nachgegeben hatte, galoppierten Dhalia und Chris in die dunkle Nacht hinaus.
Kapitel 6
Noch bevor Eliza am Abend das Lager erreicht hatte, bereute sie es bereits, Gheorghe bei Chris zurückgelassen zu haben. Sie hatte Chris nur ein wenig Angst einjagen wollen - als Strafe dafür, dass er versucht hatte, dem Mädchen zu helfen. Doch sie wusste, dass Gheorghe einen starken Groll gegen ihren Gefangenen hegte, und hoffte, ihn bei ihrer Rückkehr noch einigermaßen heil vorzufinden. Normalerweise machte sie sich nicht viel aus Menschen, sie waren eine zu primitive Lebensform. Doch es gab Ausnahmen und der junge Schmuggler war eine davon. Sie
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