Feenland
und
Kredit-Waschsalons, dazu Dutzende von kleinen Bars und Cafés.
Hologramme hängen über Wohnwagen und den Flachdächern
von Containern, von den bissigen, kleinen Slogans der
Ein-Mann-Unternehmen bis hin zu den alles überstrahlenden
Firmenzeichen der Mega-Gesellschaften. Virtuality, Sanyo, Sega-IBM,
InScape: Symbole aus elektronischen Träumen türmen sich in
den Himmel, so groß und so unwirklich wie Götter, die
Leucht-Ikonen, die Morag Nacht für Nacht sieht, wenn sie in den
Bidonvilles im Süden und Osten des Interface arbeitet.
Alex führt Morag durch das Labyrinth enger Gassen. Das Tempo,
das er vorlegt, ist für einen Mann seines Umfangs beachtlich.
Der Asphalt weicht Kunstrasen, aufgeweichtem Erdreich und wieder
Asphalt. Ein japanisches Fernseh-Team dreht ein Interview mit einem
halbwüchsigen Späher, der lässig in schwarzen Jeans,
schwarzer Lederjacke und Video-Brille posiert und von schwebenden
Scheinwerfern in einen unwirklichen Glanz getaucht wird.
Sägeböcke und ein quergespanntes Bio-Risiko-Band sperren
eine Straße ab; ein paar Männer, die in ihren
Dekontaminationsanzügen wie Mars-Astronauten aussehen, arbeiten
in einer Plastikkuppel, die über einen Wohncontainer
gestülpt ist.
»Manchmal geraten die Dinge außer Kontrolle«, sagt
Alex zu Morag.
Ihn erregt der rasende Pulsschlag des Geschäftslebens, die
spürbare Profitgier, die hier im Interface herrscht. Sein
Gesicht ist gerötet, und sein Atem geht stoßweise.
»Sie hätten hier sein sollen, als alles anfing«,
sagt er. »Mittlerweile haben die Großkonzerne die
schwächere Konkurrenz längst an den Rand gedrängt,
aber in der ersten Zeit herrschten hier Wettkampfbedingungen, aus
denen jeder als Sieger hervorgehen konnte. Heute versuchen die
meisten von den Abfällen der Mächtigen zu leben und geben
sich mit Kleinkram zufrieden, für den sich der Einsatz kaum
lohnt. Die Produktionsmethoden der Feen scheinen auf einer
hyperschnellen Darwinschen Selektion zu beruhen. Sie geben sich nicht
mit gezieltem Design ab, sondern schaffen eine maßgeschneiderte
Umgebung und warten dann einfach ab, welche Erzeugnisse sich
durchsetzen. Aus diesem Grund gibt es Millionen von Fembot-Varianten,
die auf den ersten Blick gar nichts bewirken, von denen man jedoch
hofft, sie könnten die eine oder andere neue Eigenschaft
besitzen, die sich eines Tages kommerziell nutzen läßt.
Ein Großteil dieses genmanipulierten Zeugs ist tatsächlich
Schrott, und der Rest besteht in der Hauptsache aus harmlosen
DNS-Strängen, die Informationen für Effektor-Proteine
enthalten, aber ohne jeden Aktivator oder Regulator. Die Leute
stürzen sich auf alle möglichen Transkriptionsanweisungen
– fast immer vergeblich. Und wenn mal was in Gang kommt, dann
erhalten Sie garantiert nicht das Produkt, das Ihnen vorschwebt.
Eindämmung ist das einzige, wofür es hier feste
Vorschriften gibt, aber selbst die helfen nicht immer. Vor allem dann
nicht, wenn sie mißachtet werden.«
Morag fällt auf, daß etwa die Hälfte der Passanten
die gleiche Brille und Maske tragen, die ihr die Blondine
aushändigte, als die Truppe des Kinder-Kreuzzugs das Haus von
Max überfiel. Das Risiko ist hoch: Zum einen besteht die Gefahr,
daß vom Magic Kingdom Fembots herüberdriften, die kaum
größer als bakterielle Sporen sind; zum anderen lauern die
Produkte von tausend illegalen Bioware- und Nanotech-Labors. Jeden
Monat fordert irgend jemand im Europa-Parlament mit Nachdruck, diesen
größten unkontrollierten Bioreaktor der Welt zu
schließen, das künftige Tschernobyl, das Sellafield von
morgen. Bis jetzt hat sich keines der entwichenen, freigesetzten oder
verhökerten Feenerzeugnisse als ansteckend erwiesen, aber diesen
letzten Schritt kann jeder Genhacker vollziehen, entweder aus
Versehen oder mit voller Absicht. Und wer sagt, daß die Feen
nicht eines Tages eine Seuche auf die Menschheit loslassen, neben der
HIV oder Ebola-Viren so harmlos wie eine Erkältung aussehen?
Aber die schlichte Tatsache ist, daß Europa das Geld braucht;
die Anforderungen seiner gigantischen sozialen Infrastruktur
übersteigen bei weitem die schrumpfende Basis der Industrie.
Alles ist möglich im Interface, und doch kann Morag ihr
Erstaunen nicht verbergen, als sie um die Ecke biegen und
plötzlich auf eine Erweckungsversammlung des Kinder-Kreuzzugs
stoßen. Von einer Sekunde zur nächsten sind die
Fertigbeton-Mauern links und rechts der schmuddeligen Gasse
verschwunden, und sie befinden sich mitten in der
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