Feenland
holografischen
Vision eines pastoralen Jenseits, wie es John Martin in seinen
chiliastischen Gemälden beschwor – mit einer Himmelsstadt,
die wie goldene Seifenblasen in den verschleierten Fernen einer
englischen Wiesen-Idylle schimmert. Engel, so schön und stumpf
wie die Stars billiger Fernsehserien, kommen auf sie zugelaufen, und
Alex packt Morag an der Hand und flüchtet mit ihr zurück in
die Gasse, aus der sie gekommen sind, außer Reichweite der
Bekehrungssensoren.
»Jeder, der es sich leisten kann, macht hier Werbung«,
sagt Alex. »Und die Leute, die hinter dem Kinder-Kreuzzug
stecken, haben mehr Grund dazu als die meisten anderen.«
Er führt Morag zu einem langgestreckten See, wo sich
Hausboote an Flößen scheuern, verbunden durch Ponton-Stege
oder einfach dicht aneinandergereiht, so daß man von Deck zu
Deck springen muß, um an sein Ziel zu gelangen. Am
äußeren Ende dieses schäbigen Archipels befindet sich
eine fest auf dem schlammigen Grund des seichten Gewässers
verankerte Stahl-Barkasse, die zu einer Kneipe umgebaut ist. Ihr Deck
besteht aus einer schwankenden Kaskade von Plattformen, manche
bepflanzt, andere mit Draht- oder Schüsselantennen
bestückt, eine mit einer holografischen Miniatur von Eschers
paradoxer Windmühle geschmückt, deren fröhliche Farben
in den grauen Tag leuchten. An der höchsten Stelle ist ein
Münzfernrohr montiert, eines der Dinger, die früher auf
jeder Aussichtsterrasse in Europa standen. Es ist auf die fernen
Türme des Magic Kingdom ausgerichtet. Piratenflaggen mit
Totenschädel und gekreuzten Knochen flattern von einem
skelettartigen Sendemast; die größte verkündet in
Lettern aus Schädeln und Langknochen, daß der Ort den
Namen Oncogene trägt.
Das Dekor ist eine Mischung aus altmodischem rotem Plüsch und
Industriestahl. Blaue und bronzefarbene Schweißnähte
bilden wulstige Narben auf spiegelblanken Flächen. An einem Ende
befindet sich ein Billardtisch, der mit seiner schwarzen Bespannung
und der Anordnung der Kugeln an Drucke von Bridget Riley erinnert. Am
anderen Ende ist eine Theke mit einem riesigen Fernsehschirm im
Hintergrund, über den – ähnlich wie auf den
Info-Schirmen der Flughäfen – unentwegt Kürzel und
Zahlenreihen nach oben verschoben werden.
Ein gelangweilter Barkeeper verfolgt eine Seifenoper auf einem
handtellergroßen TV-Gerät. Der einzige Gast ist ein
schlaksiger Mann, der mit überkreuzten Beinen auf einer Couch
sitzt und das Schreibfeld eines Taschencomputers vollkritzelt. Er
heißt Pieter Bloch und ist Alex Sharkeys Kontaktmann. Er hat
ein langes, grämliches Gesicht und eine wirre graue Mähne,
die an elektrisch aufgeladene Putzwolle erinnert. Als er Morag sieht,
mustert er mit zusammengekniffenen Augen ihren wasserfleckigen
Steppmantel, und sagt zu Alex: »Sie haben mit keinem Wort
erwähnt, daß Sie eine fremde Person mitbringen. Wo ist
Kat?«
»Die Dinge ändern sich«, entgegnet Alex
liebenswürdig. »Sie wissen, wie das ist.«
Morag entgegnet Blochs prüfenden Blick, bis der Mann
wegschaut. »Ich hasse unvorhergesehene Zwischenfälle«,
erklärt er. »Erst die Massen-Freisetzung, und nun diese
Frau, die ich nicht kenne.«
»Welche Massen-Freisetzung?« fragt Alex.
»Sie haben nichts davon gehört?«
»Trinken wir erst mal alle ein Bier«, schlägt Alex
vor. »Dann können Sie mir die Geschichte
erzählen.«
Der Barkeeper öffnet drei Heineken-Biere – Heineken hell
oder dunkel ist alles, was hier ausgeschenkt wird – indem er die
Kronkorken am Thekenrand hochbiegt. Bloch nimmt einen langen Zug,
wischt sich den Mund ab und berichtet Alex, daß im Morgengrauen
gewaltige Mengen eines einzelnen Fembot-Typs über dem Magic
Kingdom in die Luft entwichen sind.
»Glauben Sie mir, es brodelt nur so von Gerüchten, was
die Dinger bewirken sollen, aber bis jetzt weiß niemand etwas
Genaues. Einigkeit herrscht nur in einem Punkt: Es handelt sich um
Fembots, die eine Glaubensbotschaft übermitteln.«
»Und sie haben die Luft-Vorhänge
überwunden?«
»Natürlich. Die Barriere war noch nie zuverlässig.
Und der Wind wehte in Richtung Paris.«
»Kann das gefährlich werden?« fragt Morag.
Bloch hebt die Schultern.
»Also haben die Feen Paris mit Liebesbomben
überzogen«, meint Alex nachdenklich. »Ein
interessanter Zufall.«
»Sie wissen genau, daß das kein Zufall ist. Das Magic
Kingdom steht entweder dicht vor dem Zusammenbruch, oder es findet
ein drastischer Umsturz statt. Diese Fembot-Attacke ist ein Teil
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