Feenland
Mal hätten wir um ein Haar ins Gras
gebissen«, faucht Katrina. »Und noch eins. Ich schlage vor,
daß wir die Kleine hierlassen.«
»Abgelehnt«, mischt sich Morag ein.
Katrina wirft ihr einen eisigen Blick zu.
»Wir haben eine Abmachung«, sagt Alex. »Fang nicht
wieder damit an, Katrina! Wir stecken auch so bis zum Hals in
Schwierigkeiten.«
Armand ist im Taxi zu sich gekommen und hat versucht, die Fesseln
abzustreifen. Er stinkt nach Schweiß, und seine Handgelenke
sind blutig gescheuert. Wütend blitzt er sie durch die fettigen
Haarsträhnen an, die ihm in das ausgezehrte Gesicht
hängen.
»Das gibt Rache!« droht er. »Ich habe eine Menge
guter Freunde.«
Er setzt seine verbalen Angriffe während der Fahrt aus der
Stadt fort, und als Katrina sich umdreht und nach ihm schlägt,
lacht er nur. »Ihr werdet schon sehen!« sagt er. »Ihr
werdet schon sehen!«
»Sie sind von jetzt an auf sich selbst gestellt, mein
Freund«, erinnert ihn Alex. »Der Killer in Ihrem Kopf
existiert nicht mehr, und ohne ihn werden Ihre kleinen Freunde wenig
mit Ihnen anfangen können. Denken Sie mal darüber
nach!«
Das bringt den Werwolf für eine Weile zum Schweigen. Sie
halten an einer Raststätte seitlich der Autobahn.
Katrina bleibt im Taxi, um Armand im Auge zu behalten. Morag
trinkt muskatgewürzten Kaffee, während Alex drei
Cheesburger verschlingt, einen nach dem anderen.
»Sie sollten etwas essen«, sagt er in Englisch.
»Damit Sie bei Kräften bleiben.«
»Ich würde gern wissen, wofür Sie das alles
machen«, entgegnet Morag.
Alex tupft sich mit einer Serviette das Fett von den Lippen. Er
fühlt sich unbehaglich und nervös in der engen Nische,
eingequetscht hinter der beschichteten Preßspan-Tischplatte.
Jetzt, da er zum Handeln gezwungen ist, merkt er, daß er
stärker auf diese zielstrebige, aber naive junge Frau angewiesen
ist, als er sich eingestehen will. Und er kann ihr unmöglich den
Bann erklären, den Milena ihm vor so vielen Jahren auferlegt
hat, von dem er bis heute nicht loskommt, obwohl sie ihn ausgenutzt
und dann verlassen hat.
Er sagt: »Da war dieser Typ, auf den ich in Amsterdam
stieß. Ich erfuhr von ihm einiges über die neuen Feen, die
das Magic Kingdom in ihre Gewalt gebracht hatten.«
»Lernten Sie damals nicht auch Katrina kennen?«
»Das war etwas früher. Dr. Luther betrieb eine Art
Bordell und setzte Freigänger als seine Assistenten ein. Sie
wissen, wie das läuft?«
»Ich habe eine Weile in einer Klinik des offenen
Strafvollzugs gearbeitet.«
»Dr. Luther stellte spezielle Anforderungen. Er rekrutierte
Straftäter mit medizinischen Kenntnissen als Helfer für die
Umwandlung von Puppen in Sexobjekte, und das klappte, weil er sich
darauf verstand, die Kontroll-Chips der Freigänger außer
Kraft zu setzen. Außerdem handelte er mit Feen, als eine Art
Nebenerwerb. Einer seiner Assistenten ließ sich mit den Feen
ein, und sie gaben ihm etwas ganz Besonderes zu kosten.«
Morag beginnt die Zusammenhänge zu sehen. »Armand
braucht etwas, nicht wahr? Etwas, das ihm die Feen geben?«
»Ich hörte, daß sie es Soma nennen, obwohl es
sicher wenig mit dem gleichnamigen Göttertrunk des Rigveda zu
tun. Es verändert die Sicht der Dinge und vermittelt ein tiefes
Gefühl des Wohlseins, ohne das Denkvermögen zu
beeinträchtigen. Man wird davon stark süchtig. Angeblich
zerreißt es den Schleier und zeigt uns, daß selbst die
geringsten Dinge vom Licht der Schöpfung durchdrungen sind.
Jemand – sie hat gesagt, daß es die Tore zum Feenland erst
richtig öffnet. Aber damit diese Droge wirkt, muß der
Zungenmuskel mit irgend etwas infiziert sein, das sich ausbreitet und
sich bis hinauf ins limbische System frißt. Das ist alles, was
ich weiß.«
»Viele Leute würden ein Vermögen für so eine
Droge ausgeben.«
»Natürlich. Drogen spiegeln den Zeitgeist am besten
wider. Um die Jahrhundertwende, als die Menschen allesamt ein Ideal
anstrebten, das sie nie erreichen konnten, war es Mode, zu
Stimmungsaufhellern zu greifen. Heute dagegen erleben wir eine
Reaktion auf die Massenpsychose des späten zwanzigsten
Jahrhunderts. Gefragt ist der individuelle Trip, der Rückzug in
die Innenwelt. Denken Sie nur an all die Opas und Babuschkas in ihren
winzigen Zellen draußen in den Rand-Arkologien, deren einziger
Kontakt zu anderen Menschen die künstliche Web-Intimität
ist! Sie begnügen sich damit, in ihren eigenen Gedankenwelten zu
leben. Zu den Dingen, die Max aufzeichnet, gehören
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