Feenland
der
Gesamtsituation. Sie haben den Agenten? Wo wird er
festgehalten?«
»An einem sicheren Ort.«
Heißer Zorn steigt in Morag auf, als ihr klar wird, in
welchem Ausmaß man sie benutzt hat. Offensichtlich war alles
genau geplant, und nun, da sie ihre Rolle als Köder für den
Werwolf gespielt hat, gibt es im Grunde keine Verwendung mehr
für sie.
»Also können wir heute nacht eindringen«, sagt Alex
zu Bloch.
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Die Sache liegt
jetzt in meinen Händen. Vertrauen Sie mir!«
Morag, die keinem von beiden vertraut, fragt: »Sind wir hier
überhaupt sicher?«
Bloch schnaubt verächtlich, ohne sie einer Antwort zu
würdigen.
Alex erklärt geduldig: »Jeder versucht, ins Magic
Kingdom einzudringen, aber niemand verbindet damit die Absicht, es zu
zerstören. Die großen Unternehmen schicken ständig
ihre Schnüffler und Späher aus, bislang jedoch ohne
nennenswerten Erfolg. Das spielt auch keine Rolle, solange die Feen
laufend neue Produkte herstellen. Die Aufgabe der
Sicherheits-Patrouillen besteht darin, Angriffe auf das Magic Kingdom
und die Infrastruktur des Interface abzuwehren – alles
draußen zu halten, was von draußen kommt. Deshalb
brauchen wir die Hilfe von Insidern, um auf Schleichwegen die
Kontrollen zu umgehen. Das Magic Kingdom wird streng bewacht,
Zentimeter für Zentimeter – vermutlich schärfer als
jeder andere Ort auf dem Planeten.«
Morag erinnert sich, wie schnell die Sicherheits-Patrouille zur
Stelle war, und ihr dämmert, daß der Perimeter-Peeper
nicht vor den Milizen die Flucht ergriff, sondern vor ihr. Schuld
verbindet. Erst in diesem Moment kommt ihr die volle Wahrheit zu
Bewußtsein: Dutzende von Kameras und sonstigen
Überwachungsgeräten müssen den Mord – alle Morde
– aufgezeichnet haben.
»Ich will eines wissen«, sagt sie. »Hatten Sie mich
von Anfang an in Ihre Pläne einbezogen? Als Sie sahen, wie der
Mord an dem kleinen Mädchen geschah, als Sie erkannten, wer
dahintersteckte, als Jules und ich den Leichnam fanden –
entwarfen Sie da Ihre neue Strategie? Oder setzten Sie ganz einfach
darauf, daß so etwas geschehen würde?«
»Die Feen sind seit mindestens einem Jahr auf der Jagd nach
Eierstöcken«, entgegnet Alex.
»Aber wir störten sie bei ihrem Morden, und sie wollten
uns loswerden. Erst da entdeckten Sie Armand, nicht wahr? Erst da
kamen Sie auf den Gedanken, mich als Köder zu
benutzen.«
»Selbst wenn es so wäre«, sagt Alex, »was
spielt das jetzt noch für eine Rolle? Sie erreichen, was Sie
wollten. Wir nehmen Sie mit ins Magic Kingdom.«
»Wenn der kleine Junge noch lebt, finde ich ihn«, wirft
Bloch ein.
Vielleicht will er sie mit diesen Worten beruhigen, aber die
wegwerfende Art und Weise, in der er von dem Kind spricht, beweist,
daß Morags Anliegen seine geringste Sorge ist.
»Pieter ist ein guter Späher«, meint Alex. »Er
war von Anfang an hier.«
»Und es wird höchste Zeit, daß ich
verschwinde«, sagt Bloch. Er wirft einen Blick auf das, was er
niedergekritzelt hat, löscht es und schiebt den Minicomputer in
eine Tasche seines Kittelhemds. »Es kommt einfach nichts Neues
mehr durch. Die kleinen Scheißkerle sind am Ende. Die bluffen
nur noch und hauen die Konzerne übers Ohr. Es ist sonnenklar,
daß ihnen die Tauschwaren ausgegangen sind. Früher oder
später verschafft sich jemand mit Gewalt Zutritt, und dann
müssen sie Farbe bekennen.«
Alex nickt Morag zu. »Deshalb gehen wir jetzt
hinein.«
»O nein«, widerspricht Bloch. »Deshalb geht ihr
eben nicht hinein, denn wenn ihr das tut, folgt jedes kleine
Arschloch eurem Beispiel, und davon hat niemand was. Setzen Sie sich,
Alex! Und Sie auch, Mademoiselle!«
Morag erreicht die Wendeltreppe noch vor Alex. Bloch ruft ihnen
nach: »Seid doch vernünftig! Ihr kommt nicht
weit!«
Morag stolpert in die kalte graue Luft hinaus. Vier
Sicherheitsleute bahnen sich einen Weg über das Hausboot neben
der Oncogene, angeführt von der blonden Frau, die Morag
vor drei Nächten abgewiesen hat. Sie trägt jetzt keine
Maske, aber Morag würde sie überall wiedererkennen. Die
Frau deutet auf Morag und ruft etwas; ihre Worte werden von dem
eisigen Wind, der über den See weht, weggerissen.
Morag läuft zum Bug der Oncogene. Sie wirft sich
mitten durch das Escher-Hologramm und klettert über die
Stützen des Sendemasts. Schwarzes Wasser zwei Meter unter ihr;
die Anführerin der Patrouille hat den Mast erreicht. Morag
reißt sich den Mantel vom Leib. Die Frau will sie
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