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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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leserlichen Handschrift, die so typisch für Alex
ist: Hör genau hin!
    »Eigentlich war es kein richtiges Haar«, fährt ihre
Mutter fort. »Eher eine Art Schopf aus bunten Federn. Wie ein
Kolibri.«
    »Sagte sie etwas?«
    »Daß die Karte für dich sei. Sonst nichts. Sie
kannte deinen Namen. Dann ging sie wieder. Möchtest du eine
Tasse Tee? Ich habe noch einen kleinen Rest Earl Grey.«
    Morag aktiviert die winzige Postkarten-Stimme. Sie verrät ihr
in Schulenglisch, daß es sich bei der Aufnahme um die Zitadelle
von Gjirokastër in Südalbanien handelt, eine der
schönsten Festungen byzantinisch-ottomanischen Stils im
Balkan.
    »… die westliche Besucher in ihren Bann schlägt,
seit Byron und Edward Lear diese Gegend im neunzehnten Jahrhundert
erstmals bereisten. Auch wenn Kenner behaupten, daß die Festung
von Berat ein noch reineres Beispiel ottomanischer Baukunst sei, ist
die Lage von Gjirokastër vor der dramatischen Kulisse der
Buret-Berge…«
    Morag preßt die Postkarte ans Ohr und spielt sie noch einmal
ab. Überlagert von dem kratzigen Geleier des Führers
hört sie den Londoner Akzent von Alex. Er spricht nur ein paar
Worte, und sie muß die Fragen ihrer Mutter abwehren und den
Text noch einmal abspielen, ehe sie seine Botschaft versteht.
    »Ich suche immer noch nach Feenland«, sagt er.

 
     
     
TEIL DREI

Die Bibliothek der Träume

 
1    Der flammende Mann
     
     
    »Wir sind drin«, sagt Max zu Alex. »Da – sieh
dir das an!«
    Sie unterhalten sich im Home Room von Max, einer Sphäre mit
Kristallwänden, die hoch über den schwefelgelben
Wolkenbänken des Jupiter schwebt. Das Panorama wird von einem
Element der ESA-Sonde Von Neumann übermittelt, die Kopien
ihrer selbst rund um den Riesenplaneten verteilt. Alex räkelt
sich auf einem Diwan. Im richtigen Leben liegt er auf einem
Wiesenhang im sonnenwarmen Gras, und die Orientierung in einer
virtuellen Umgebung, die nicht mit der Realität
übereinstimmt, verschafft ihm meist ein flaues Gefühl in
der Magengegend. Während Max in seiner wahren Gestalt anwesend
ist, hat er Alex als den wahnsinnigen Römer-Kaiser Caligula
abgebildet, mit Purpur-Toga und einem Lorbeerkranz auf der Stirn.
Ihre Web-Agenten beäugen sich von entgegengesetzten Polen des
kugelförmigen Raums: der scharlachrote Dämon von Alex,
gehörnt, mit Gabelschwanz und Dreizack, und die grüne Frau
von Max, umrankt von Blättern wie ein Fenster in eine verlorene
Welt, ihre Augen Kornblumen, ihre Lippen und Brüste roter Mohn,
ihr Haar zarter Farn.
    Max öffnet ein Datenfenster. Text scrollt nach oben, gibt den
Blick frei auf eine flammende Gestalt, die durch weite Räume mit
goldgeädertem Marmorboden flieht. Sie hinterläßt eine
Spur schwarzer Fußabdrücke. Dann wieder Text und Reihe um
Reihe von Symbolen. Max beobachtet angespannt, wie sie nach oben
scrollen. Alex schaut weg. Eine Gewitterfront, groß wie ein
Kontinent, flackert am Rand der Riesenwelt.
    »Eindeutig das Werk von Feen«, sagt Max und spießt
mit dem Zeigefinger ein komplexes Moire-Muster auf. »Ihre
entoptischen Formen unterwandern das Primärbild. Hier wieder!
Verdammt, Alex, sieh dir das wenigstens an! Ich habe
sechsunddreißig Stunden gebraucht, um die Codes zu
entwirren.«
    Alex kommt seiner Aufforderung nach. »Wie hast du es
geschafft, da einzusteigen?«
    Seit Jahren ist es der Traum von Hackern, die von Glass
zusammengetragene Bibliothek der Träume zu knacken. »Einer
von ein paar Kids, die im Trüben fischten, entdeckte eine
Hintertür«, sagt Max vage. Was er gefunden hat, fasziniert
ihn weit mehr als das Wie. »Ich frage mich, über welche
Computer-Kapazitäten Glass verfügt. Diese Flammen
müssen Gigabytes an Iterationen verschlingen, selbst wenn er
Parallelbenennungen ausklammert.«
    »Er hat sicher eine ganze Menge«, sagt Alex. »Vor
allem eine Menge VR-Maschinen. Sonst wäre Milena nicht zu ihm
gegangen.«
    »Was da an graphischer Power verschwendet wird, um einem
einzigen Toten ein Mausoleum zu errichten, in dem er nach Belieben
herumspuken kann! Stell dir vor, du schaffst den Hack schlechthin
– und sperrst dich in eine Glasflasche, anstatt die ganze Welt
zu erforschen!«
    »Findest du es nicht ein wenig… verdächtig,
daß es dir gerade jetzt gelungen ist, in die Bibliothek der
Träume einzudringen?« fragt Alex.
    »Natürlich ist es verdächtig. Das
gehört alles mit zum Spiel. Was mich eher stört, ist die
Tatsache, daß dieser flammende Typ Schaden im System anrichtet.
Hast du die

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