Feenland
unheimliche,
schwindelerregende Ausgelassenheit über die Umgestaltung der
Welt. Sie ist glücklich. Ihre Furcht ist in Freude umgeschlagen,
und das ist es, was ihr Entsetzen einjagt.
»Wir gehen in die Zukunft, wie wir es immer getan haben, mit
jedem Rucken des Sekundenzeigers, aber die Zeit ist jetzt um soviel
reicher, daß jede Sekunde ein ganzes Bündel von Jahren in
ihrem Tick oder Tack zusammenpreßt. Das Magic Kingdom ist kein
Ort, es ist ein hyperrevolutionäres Potential. Hier können
wir uns ins Dasein träumen. Richte das Alex aus, wenn du ihn
siehst.« Die Frau deutet in das Dunkel. »Der arme
König meiner Kinder…«
Eine Feengesellschaft, zarte, schöne Geschöpfe, kommen
in angeregter Unterhaltung den Hang herauf und verneigen sich tief,
als sie an der Frau vorbeiziehen. Ein einäugiger Mann,
groß und stämmig, in Lederfetzen und die verbeulten Reste
einer Rüstung gehüllt, stolpert hinter ihnen drein. Eine um
sein linkes Handgelenk gewickelte Giftschlange hat sich in das wunde,
geschwollene Fleisch verbissen. Sein Haar ist mit Efeublättern
geschmückt, und das zerstörte Auge weint Tränen aus
Blut, von denen Dampf aufsteigt, wenn sie auf den gefrorenen Boden
klatschen.
Die Frau befiehlt ihm, vor sie hinzutreten. Er kniet nieder und
senkt den Kopf. »Vergib mir! Ich habe versagt.«
»Ich vergebe dir, weil du versagt hast«, entgegnet die
Frau. Sie berührt seine blutende Augenhöhle mit langen,
weißen Fingern. »Ich kann dich nicht heilen, und
vielleicht ist es so am besten.«
»Es waren die Zwillinge«, sagt der Mann. »Sie
brachten Mister Mike zum Vorschein.«
»Ja, ja.« Die Stimme der Frau klingt scharf vor
Ungeduld.
Morag weiß nun, wer der König ist.
Flehend fährt er fort: »Ich glaubte ihnen nicht, als sie
sagten, sie würden die Welt regieren. Aber vielleicht hat ihnen
ja Mister Mike geglaubt, oder?«
»Meine Kinder könnten durchaus eines Tages die Welt
regieren – wer weiß? Aber nicht hier und noch nicht jetzt.
Und nun halt still!«
Und der König wird zu Stein, bis auf ein dünnes Rinnsal
hellrotes Blut, das ihm über die Granitwange läuft und
seine graue Brust wie ein Ordensband schmückt.
Die Frau wendet sich wieder Morag zu und fragt: »Kennst du
dich mit Dingen wie Urschleim und Schimmel aus?«
Morag schüttelt den Kopf. Sie kann sich kaum entsinnen, wer
sie ist; ihr Herz hämmert so heftig in der Brust, daß sie
befürchtet, sie könnte jeden Moment von der Macht ihres
eigenen Blut überwältigt werden.
»Ich nehme an, daß die Grundlagen der Biologie heute
nicht mehr Bestandteil der medizinischen Ausbildung sind. Aber das
macht nichts. Es reicht, wenn du Alex sagst, daß die Zukunft
ein Zerstreuen in alle Winde und eine noch größere
Vereinigung bringen wird. Er wird mir weiterhin unverdrossen folgen,
mein armer, treuer Merlin. Vielleicht errät er sogar, was ich
vorhabe, aber er wird zu spät kommen. Ich kann alles erreichen,
was ich will. Keine noch so mächtige Regierung und kein noch so
bedeutender Konzern kann mich aufhalten, und Politik und Wirtschaft
werden erst zusammenarbeiten, wenn es ihnen nichts mehr nützt.
So war es immer. Niemand von den Großen nimmt die Zukunft
ernst, weil niemand die Stimmen der Ungeborenen einfangen und erst
recht nicht von ihnen profitieren kann. Und mehr und mehr Menschen
ziehen es vor, in der Vergangenheit zu leben, gut geschützt vor
den Stürmen der Zukunft. Nun, irgendwann in nicht allzu ferner
Zeit werden wir ihre Häuser niederreißen. Darauf gebe ich
dir mein Wort.«
»Der Junge!« sagt Morag, und dann läuft sie auf
eine sonnenlichtgetränkte Wiese hinaus. Schneeweiße
Häschen – vielleicht sind es auch Mäuse oder Ratten,
das Gleißen ist so hell – spitzen aus tauglitzerndem Gras.
Blaukehlchen schwingen sich in die Lüfte, von einem tieferen,
reineren Blau als der makellose Himmel. Der kleine Junge tollt mit
Jubelgeschrei umher.
»Du müßt wissen, er ist mein Enkel«,
erklärt die Frau. »Sie alle sind meine Enkel, und als die
kleinen Mädchen starben, traf es mich am
härtesten.«
Es ist wieder Nacht. Morag sagt bedächtig: »Sie lebten
alle ganz in der Nähe des Magic Kingdom. Sie wurden alle nach
der Ankunft der Feen geboren.«
»Meine eigenen Kinder fühlten sich berufen, für
mehr Schwestern – und durch Zufall auch für einen Bruder
– zu sorgen. Ich hätte wissen sollen, was sie taten, aber
ich war… beschäftigt. Ich lebte ein anderes Leben,
während ich darauf wartete, daß meine Pläne
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