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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Gegenleistung
erwarten.«
    Sie winkt, und ein muskelbepackter, krummbeiniger Elf tritt vor.
Er lächelt Ray an. Seine Zähne sind zu zwei gezackten
Elfenbein-Balken verschmolzen.
    Ray wirft Morag einen flehenden Blick zu, und Morags Herz
hämmert. »Ich kann dir nicht helfen, Ray«, sagt
sie.
    Ray heult auf und stürzt auf den Kreis der Feen zu. Er hat
ein Messer in der Hand und stößt die schwarze, krumme
Klinge nach links und nach rechts, aber die Feen treten einfach
beiseite, und er rennt wimmernd weiter, bis er in der Dunkelheit
verschwindet.
    Die Frau sagt zu Morag: »Du siehst, daß ich nicht
grausam bin.«
    »Sie haben Ray benutzt. Und ich denke, Sie haben auch mich
und Alex benutzt.«
    »Natürlich.«
    »Ich maße mir nicht an, ein Urteil über Sie zu
fällen. Aber es fällt mir schwer, an Ihren guten Charakter
zu glauben.«
    »Du willst den Jungen zurück, und du sollst ihn
zurück bekommen. Es war nie geplant, ihn ins Magic Kingdom zu
holen.«
    »Alex erzählte mir, daß Sie sich Milena nennen,
aber das ist nicht Ihr echter Name, oder? Er dürfte ebensowenig
echt sein wie…«
    »Ich habe mich verwandelt, und ich werde mich bald wieder
verwandeln. Dann spielt es keine Rolle mehr, wie ich mich nenne. Mir
bleibt hier nur noch wenig Zeit, aber diese Zeit reicht, um dir zu
zeigen, was dem Jungen entgehen wird. Das ist nur fair, finde
ich.«
    Die Frau deutet auf eines der Feengeschöpfe, und es tritt vor
sie hin, kniet nieder und hebt erwartungsvoll den Kopf. Aus einer
kleinen Plastikflasche, die zur Hälfte mit einer dicken,
milchigen Flüssigkeit gefüllt ist, träufelt ihm die
Frau ein paar Tropfen in den Mund. Das Geschöpf geht zu Morag,
nimmt ihr Gesicht zwischen seine heißen, trockenen Hände
und küßt sie. Morag schlägt und tritt um sich, und es
gelingt ihr, das Ding abzuschütteln, aber nicht, ehe sie seine
heiße, süße Zunge auf der ihren fühlt. Und dann
spielt die Vergewaltigung keine Rolle mehr, denn Morag sieht.
    Die Nacht ist überflutet von Licht, ein Strom von Sternen,
getragen von Leuten mit ernsten, schönen, verschlossenen
Gesichtern, die ohne Unterlaß aus dem Dunkel auftauchen und
wieder darin versinken.
    »Begleite mich ein Stück«, sagt die Frau und nimmt
einen schlanken Leuchtstab in die Hand. Er wirft einen sanften
Butterglanz auf ihre schwarze Haut. Der Baum scheint mit seinen
Ästen nach dem Licht zu greifen, wie ein Mensch, der sich die
Hände an einem Feuer wärmen will.
    Morag spürt die Sehnsucht des Baums nach dem Licht, als sie
sich entfernen; einen Moment lang denkt sie, er könnte seine
Wurzeln aus dem Boden lösen und ihnen folgen, nicht mehr
gewillt, an Ort und Stelle auf die Wärme des Frühlings zu
warten.
    »Ich habe meine Worte mit dem Wind ausgesandt«, sagt die
Frau, »und all jene, die sie verstehen, werden wissen, wohin sie
sich begeben sollen.«
    »Sie wollen, daß das Magic Kingdom zerstört wird,
nicht wahr?«
    »Es war ein Fehler, es bestehen zu lassen, nachdem es
jeglichen Nutzen für mich verloren hatte. Ich wollte meinen
Töchtern einen Gefallen erweisen, und sie verrieten mich.
Weißt du, wer hier vor der Zeit der Geschichtsschreibung
lebte?«
    Morag verneint. Sie hat das schwebende Gefühl, in einem Traum
zu wandeln.
    »Sie waren behaart, die meisten jedenfalls, und hausten in
Erdhöhlen. Als die ersten richtigen Menschen hier auftauchten,
mit ihren Äxten aus reinem Kupfer, machten es sich die Haarigen
zur Gewohnheit, kleine Kinder zu stehlen. Manchmal wurden die Kinder
gerettet, aber sie fanden sich in der Menschenwelt nicht mehr
zurecht. Du kannst den Wechselbalg haben, den meine Töchter
entführten, aber denke an meine Warnung: Er wird immer bei mir
sein.«
    Sie sind einen Hügel hinaufgeschlendert und haben nun die
Kuppe erreicht. In der Ferne windet sich eine lange Prozession
über das Land. Von dieser Anhöhe aus wirkt sie endlos,
obwohl Morag weiß, daß das nicht sein kann, denn sonst
wäre sie seit Urzeiten unterwegs und hätte kein Ziel,
sondern sich selbst zum Zweck, wie eine Schlange, die sich in den
Schwanz beißt. Sie entfernt sich von einer brennenden Stadt,
über der gigantische, fahl leuchtende Geister schweben und
Rieseninsekten summen und brummen. Ein gewaltiges Schloß ragt
aus den Flammen auf, seine geborstenen Türme Klauen, die sich am
Himmel festzukrallen versuchen.
    Morag weiß, daß dies die wahre Zukunft des Magic
Kingdom ist. Sie weiß auch, daß dies eine Halluzination
ist, aber es stört sie nicht. Sie empfindet eine

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