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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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zusammenarbeitet.
    Es ist vereinbart, daß er sie begleitet; Alex hat ihn als
Dolmetscher engagiert. Vor zehn Jahren verlor Mister Avramites seine
Familie während der Wiederbesetzung Gjirokastërs durch die
Regierungstruppen. Er war mit den übrigen albanisch-griechischen
Männern geflohen, um den Kampf in den Bergen und Wäldern
fortzusetzen. Er bezahlte ein Kellerversteck für seine Frau und
seine Töchter, aber die Familie, die ihm den Schutzraum
zugesichert hatte, wurde wortbrüchig und zog nach Norden, lange
bevor die Griechen die Stadt zurückeroberten. Niemand
wußte genau, was Mister Avramites’ Familie
zugestoßen war, aber vermutlich wurden sie gleich zu Beginn der
Besetzung erschossen und in einem der Massengräber
außerhalb der Stadt verscharrt. Manchmal verfällt Mister
Avramites in ein dumpfes Schweigen, wenn er an diese Dinge denkt,
aber jetzt wirkt er eher gut gelaunt – zu gut gelaunt für
einen Mann, der sich in Kürze auf eine gefährliche
Expedition begeben will, findet Alex.
    Mister Avramites hält den Passierschein aus steifem Papier
mit dem Hologramm-Siegel hoch und reicht ihn Alex: »Sie werden
das hier gut verwahren, Mister Sharkey.«
    So ist das also. Alex spürt, daß Katrina ihn anschaut,
aber er hält den Blick fest auf Mister Avramites gerichtet.
»Wäre es nicht praktischer, wenn Sie ihn gleich bei sich
behielten?«
    »Äh, leider…« Wenn Mister Avramites die
Achseln zuckt, ist sein ganzer Körper an dieser Geste beteiligt.
»Wie ich hörte, spricht der Leiter des medizinischen Stabs
ein verständliches Englisch, und da ich noch ein paar dringende
Geschäfte in der Stadt zu erledigen habe, leider… Ich
verzichte natürlich auf die Bezahlung, die Sie mir angeboten
haben.«
    »Na, das ist doch schon was«, sagt Katrina.
    »Kat, sei bitte still!«
    »Sie werden sicheres Geleit bekommen, davon bin ich
überzeugt«, setzt Mister Avramites hinzu. »Ein alter
Mann wie ich würde nur Umstände bereiten.«
    »Ich finde es schade, daß Sie es vorziehen, nicht mit
uns zu kommen«, sagt Alex.
    Einen Moment lang herrscht unbehagliches Schweigen.
    »Äh… aber noch sind wir hier«, erklärt
Mister Avramites hastig. »Stoßen wir darauf an, daß
Sie nach dem langen Warten endlich aufbrechen können!«
    Mit dem Geld von Alex kauft Mister Avramites einen Liter Raki
– weil es da, wo sie hinwollen, nur Ouzo gibt, wie er
erklärt, und weil Ouzo etwas für Weichlinge ist.
    Katrina wirft Alex einen finsteren Blick zu. »Vielleicht
sollten wir Mister Avramites nicht länger von seinen
Geschäften abhalten«, meint sie.
    Entweder entgeht Mister Avramites der Sarkasmus in Katrinas
Stimme, oder er tut so, als würde er ihn nicht bemerken.
»Dafür bleibt noch reichlich Zeit. Heute abend bin ich ganz
der Ihre.«
    »Kat, warum erzählst du Mister Avramites nicht von dem
großen Tier, das du gesehen hast?«
    Mister Avramites hört sich die Geschichte an und zuckt dann
die Achseln. Ȇberbleibsel aus dem Krieg. Man sollte sich
lieber mit ihnen befassen. Außerdem gibt es da draußen
viel unwirkliches Zeug. Gespenster, die sich in den Hügeln
herumtreiben. Wer ihnen begegnet, kehrt vielleicht nie mehr
zurück. Lamia – Sie kennen die alte Geschichte, nicht wahr?
John Keats, ein Zeitgenosse von Byron, schrieb ein bewegendes Gedicht
über dieses Thema.«
    Byron ist für die Albaner eine Art Held. Obwohl er letztlich
auf der Seite der Griechen kämpfte, waren seine Motive edel und
vor allem ehrenhaft. Alex weiß inzwischen, daß die
Albaner von einem Engländer umfassende Kenntnisse über
Byron und seine Werke erwarten, aber Alex kann sich nur vage
entsinnen, daß der Typ irgendwas mit Frankensteins Braut oder sonst einem alten Schwarzweiß-Horrorfilm zu tun
hatte.
    Katrina knallt ihren Becher auf den Tisch. Das Paar am Nebentisch,
das sich den ganzen Abend im Flüsterton unterhalten hat,
fährt hoch und dreht sich erschrocken um. Katrina starrt die
beiden herausfordernd an und sagt: »Dieses Ding war kein
Gespenst. Es hatte ungefähr die Größe eines
Elefanten, verdammt noch mal!«
    »Vielleicht war es ein Pferd«, meint Mister Avramites.
»Sie haben in diesem Krieg Pferde genommen und verwandelt.
Manchmal auch Menschen. So sind sie nun mal, die Feen.«
    »Und ich habe Stimmen gehört«, fährt Katrina
fort. »Wie ein Flüstern. Hoch in der Luft. Ein richtiger
Shakespeare-Spukwald, finden Sie nicht auch?«
    »Ich war einen ganzen Winter lang in den Wäldern«,
erzählt Mister Avramites mit dem feierlichen

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