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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Hochkonjunktur: Viele Albaner
träumen davon, ein Vermögen durch geschickte
Börsenspiele auf dem internationalen Geldmarkt zu machen.
    Von seinem erhöhten Platz sieht Todd plötzlich, wie
jemand zwischen den Reihen verbeulter Mercedes und Peugeots auf der
anderen Seite des Platzes auftaucht. Der Mann läuft in einem
verzweifelten Zickzack und schlägt mit den Armen um sich, als
müßte er ein lästiges Insekt abwehren. Die Menschen
weichen zur Seite – sie wissen, was los ist. Dem Mann folgt eine
Hornisse – ein Mikrogeschoß mit Eigenantrieb, das mittels
Geruchssensoren auf eine bestimmte Fährte gehetzt wird.
Sämtliche Auslands-Journalisten nehmen Pillen, die den
Pheromon-Gehalt ihres Schweißes von Tag zu Tag verändern.
Hornissen können mit alten Socken oder einer achtlos beiseite
gelegten Zeitung scharf gemacht und auf ihr Opfer gelenkt werden. Sie
sind erbarmungslose Mordmaschinen, die nicht nur von beiden
Bürgerkrieg-Parteien, sondern auch von den Gangsterbossen
verwendet werden, die sich um die Vormacht auf dem Schwarzmarkt
streiten.
    Der Mann bleibt stehen und versucht sich das Hemd vom Leib zu
reißen, doch im selben Moment blitzt etwas auf. Er taumelt zu
Boden und rührt sich nicht mehr.
    »Wieder eine Schuld beglichen«, sagt Eduard Marku.
    Marku muß im gleichen Moment gekommen sein, als die Hornisse
ihr Ziel erreichte. Keine erfreuliche Verbindung. Er ist ein glatter,
hämischer Typ Ende vierzig. Wie immer trägt er einen
knittrigen schwarzen Anzug und raucht eine italienische Camel nach
der anderen – ein Zeichen, daß er Beziehungen hat, denn
Camel, die Lieblingsmarke der Albaner, ist nicht einmal auf dem
Schwarzmarkt erhältlich. Todd hat ihn vor drei Jahren
kennengelernt. Wie die Stadt ist Marku seither verbittert geworden,
verschlossen, gleichgültig gegenüber Drohungen. Todd
erinnert sich an die Zeit, als Tirana Besucher noch aufgeschlossen
und herzlich empfing.
    Polizisten schüttelten ihm die Hand, wenn sie erfuhren,
daß er Journalist war; manche luden ihn sogar in ihre
Häuser ein. Jetzt hängen sie zu dritt oder viert herum,
schikanieren Passanten, verhaften Journalisten und lassen sie nach
ein paar Stunden mit der vagen Drohung frei, Ausländer sollten
sich auf den Straßen besonders gut in acht nehmen.
    Marku hatte als Spitzel für die damalige Regierung
gearbeitet, kam nach dem Umsturz ins Gefängnis und wurde
entlassen, als der Präsident des neuen Regimes am ersten
Jahrestag der Machtübernahme eine Amnestie für politische
Häftlinge erließ. (Der Mann war früher mal im
MTV-Werbemanagement und versteht sich zumindest auf Rhetorik und
große Gesten.) Er ist als Informant weder zuverlässig noch
besonders vertrauenswürdig, aber Todd mag seinen Stil und seinen
Sinn für das Makabre.
    Als Todd in Tirana ankam, berichtete ihm Marku, daß eine
knappe Woche zuvor ein Mann in der Hotelhalle regelrecht
abgeschlachtet worden war. Ein Fall von Blutrache: Vierzig Jahre
zuvor hatte der Vater des Opfers die Schwester des Täters ins
Unglück gestürzt, weil er ihren Verlobten tötete.
Marku bestand darauf, Todd genau die Stelle zu zeigen, an der sich
die Bluttat ereignet hatte.
    »Blut übt eine seltsame Anziehungskraft auf Marmor
aus.«
    Sie mußten einen Lehnstuhl beiseiterücken und einen
Teppich umschlagen, unter dem sich der Fleck verbarg. Todd machte ein
paar Aufnahmen, um Marku gnädig zu stimmen, aber das Ganze war
eher peinlich und mehr als gruselig. Später erfuhr er, daß
die meisten albanischen Lokalreporter den ausländischen
Journalisten diesen Blutfleck zeigten – die Begleichung einer
Ehrenschuld war hier wichtiger als der Bürgerkrieg.
    »Wenn Sie über diese Ermordung berichten wollen, finde
ich alles Wichtige für Sie heraus«, sagt Marku.
    »Wir warten ein paar Minuten, dann kommen seine Verwandten
und schreien nach Vergeltung. Sie werden uns alles erzählen. Ein
wenig Lokalfarbe für Ihren Bericht.«
    Todd lehnt ab. »Soviel Zeit habe ich nicht. Das Treffen ist
wichtiger.«
    »Warum stehen wir dann noch herum und reden unnützes
Zeug?« ereifert sich Marku, als sei das Todds Schuld.
    Sie brechen auf, und unterwegs meint Marku: »Sie verstehen,
warum Sie Ihren Kameramann nicht mitbringen können. Die trauen
keinem. Nicht einmal mir.«
    »Sie sympathisieren mit diesen Leuten?« fragt Todd.
    Marku hebt die Schultern. »Sie sind Träumer. Wie Ihr
Lord Byron. Wie ich höre, haben Sie heute die Stadt verlassen.
Das war unvorsichtig.«
    »Ich bin als neutraler Beobachter

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