Feenland
Notizblock in den Abfalleimer und geht
schlafen.
3 Frankensteins Bräute
Alex hört Katrina den Hügel heraufkommen, lange bevor
sie ihn erreicht, zuerst ihre schwachen Rufe und dann das Klappern
von Holzglocken, als die Schafe erschreckt auseinanderlaufen. Alex
döst auf einem sonnenwarmen, steil abfallenden Wiesenhang vor
sich hin. Unter ihm liegt die Stadt Gjirokastër, eingebettet in
Hügel und Pinien – enge Gassen, weiß gekalkte
Häuser mit roten oder grauen Ziegeldächern, eine Gruppe von
Betonburgen, die Fassaden noch löchrig von den Feuergefechten
des Vorjahres, Moscheen mit Minaretten, die wie startbereite Raketen
in den Himmel stechen. Darüber steigen die senkrechten
Steinwälle der Zitadelle von Geröllhängen auf. Eine
Zeitlang diente sie dem alten kommunistischen Regime als Unterkunft
für seine politischen Gefangenen. Heute beherbergt sie Elfen,
die auf den Transport ins Weiterverarbeitungs-Camp an der Küste
bei Vlorë warten. Alex versucht den Gedanken zu verdrängen,
aber es fällt ihm schwer.
Während er auf Kontakt wartet, hat er es sich angewöhnt,
täglich hier heraufzukommen, unter dem Vorwand, nach seinen
Daten-Ratten zu sehen und das Neueste von Max zu erfahren, in
Wahrheit aber, um den Aufmerksamkeiten von Mrs. Powell zu entfliehen,
einer schrecklichen Engländerin unbestimmten Alters, die an Feen
glaubt, leidenschaftlich, romantisch, absolut. Sie kam nach
einer Wünschelruten-Seance hierher, ausgerüstet mit einer
Europakarte und einem Kristallpendel, aber sie ist weder dumm noch
naiv. Sie hat sich beim Kommandanten der Zitadelle über die
unwürdige Behandlung der Elfen beschwert und bei den Vereinten
Nationen gegen die Ausstellung auf der Kakavia-Straße
protestiert, alles vergeblich. Da Alex der einzige Mensch in
Gjirokastër ist, der ebenfalls aus England kommt, hat Mrs.
Powell ihn als Opfer auserkoren und versucht ihn nun für ihre
Sache zu gewinnen.
Alex glaubt allmählich, daß dies alles eine Art Rache
des Himmels für sein Mitwirken an der Umwandlung der ersten Fee
ist. Er kann nicht sagen, daß er Mrs. Powell haßt –
in gewisser Weise erinnert sie ihn sogar an Darlajane B. – aber
sie kennt einfach kein Erbarmen. Falls er Milena findet und falls sie
sich weigert, ihn von dem Bann zu befreien, den sie ihm vor so langer
Zeit auferlegt hat, wird er Mrs. Powell auf sie ansetzen.
Es dauert nicht lange, die Daten-Ratten und das Vorrücken des
Kinder-Kreuzzugs zu überprüfen. Das Computerdeck schickt
eine Antenne über das Gras, ein spinnwebfeines Gewirr von
Monofil-Fäden, und dringt über einen UN-Spionage-Satelliten
mit niedrigem Orbit in das Web ein. Durch seinen Dämon
erfährt Alex, daß Max zur Zeit offline ist, aber eine
Nachricht hinterlassen hat. Es ist keine gute Nachricht. Hacker haben
die Hintertür in die Bibliothek der Träume entdeckt, und
obwohl das im Moment nur ein kleiner Kreis von Auserwählten
weiß, wird sich die Neuigkeit früher oder später im
Web verbreiten.
Nachdem er die Verbindung unterbrochen hat, begnügt sich Alex
damit, Scharen kleiner brauner Schmetterlinge bei ihrem Flug
über die Blumenwiese zu beobachten oder zu den fernen Bergen
hinüberzuträumen, die in einem blauen Dunstschleier weit
hinter Gjirokastër aufragen. Er sieht den Schafen zu, die weit
verstreut auf dem Hügel weiden, und denkt träge über
einen Algorithmus nach, der ihr Herdenverhalten beschreiben
könnte. Schafe mit kürzeren Beinen auf einer Seite
könnten sich auf einem Hang schneller bewegen, allerdings nur in
einer Richtung. Immer schräg nach oben, bis sie die Kuppe
erreichten. Dann nach unten rollen, geschützt von ihrer dichten
Wolle, und das Ganze von vorne beginnen.
Die Schafe hier sind geschoren, dürre Geschöpfe, alle
mit dem gleichen erschreckten Gesichtsausdruck. Als Katarina zu ihm
heraufsteigt, ergreifen sie mit hastigen, plumpen Sprüngen die
Flucht, um gleich darauf den Grund ihrer plötzlichen Panik zu
vergessen und weiter an dem trockenen Gras zu rupfen.
Katrina ist außer Atem. Ihr Gesicht glänzt verschwitzt,
und die Kopfhaut zu beiden Seiten des Genmod-Leopardenfellstreifens
hat einen Sonnenbrand abbekommen. Seine Lady Death. Sie kann ihre
plötzlichen Energieausbrüche nur bei ihm abreagieren,
für eine Sache, die sie kaum versteht. In ihren Augen ist schon
die Idee, sich auf die Suche nach Milena zu begeben, der pure
Wahnsinn.
»Laß dich kurieren!« rät sie ihm. »Das
ist nicht normal. Das blasen dir irgendwelche Fembots
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