Feenland
verloren ist. Natürlich kann es sein,
daß sie ihn dazu brachte, so zu empfinden, in den Stunden, die
ihm fehlen, nachdem er an ihrer Tür geklingelt hatte, aber der
Gedanke ist nur ein Flackern, vorbei. Es macht keinen
Unterschied.
»Ja«, sagt er. »Ja.«
»Gut.« Milena gähnt, unvermittelt und ungeniert wie
eine Katze. »Ich muß jetzt gehen.«
»Ich bringe dich heim.«
»Das ist nicht nötig. Im Gegenteil, es wäre mir
unangenehm. Ich werde beobachtet.«
»Von Doggy Dog?«
»Von meiner Firma. Die Leute dort trauen mir nicht. Ich lasse
sie in dem Glauben, daß ich alles tue, um die Steuersysteme der
Puppen zu verbessern. Die Kontroll-Chips, die Intelligenz simulieren
– die Puppen dazu bringen, alles zu tun, was von ihnen verlangt
wird. Ach, Alex, wenn die wüßten!«
»Wer bist du, Milena?«
»Etwas Neues, wie die Puppen. Man könnte sagen,
daß ich ein Produkt meiner Firma bin, aber die Leute haben
keine Ahnung, was sie da geschaffen haben. Ich bin klüger, als
sie denken, und ich arbeite darauf hin, ewig zu leben. Wie weit bist
du mit deiner Synthese?«
»Noch ein Tag, und ich kann dir alles geben, was du brauchst.
Die Bakterien gedeihen. Der nächste Schritt besteht darin, ihr
Produkt zu sammeln und zu reinigen.«
»Das ist gut«, sagt Milena, »denn es könnte
sein, daß wir nicht mehr viel Zeit haben. Folge mir
nicht!« setzt sie hinzu, ehe sie sich zum Gehen wendet und in
der Menschenmenge verschwindet, die an den hell erleuchteten
Spiegelglas-Fenstern der Chinatown-Restaurants vorbeischlendert.
12 Machtmißbrauch ist ein alter
Hut
»Versteh mich nicht falsch, Mann«, sagt Ray Aziz zu
Alex, »aber du siehst beschissen aus.«
»Kein Wunder. Ich habe die Nacht durchgearbeitet.«
Es ist Mittag. Alex hat eben eine Ladung HyperGhost auf den
Weg gebracht. Er hegt den Verdacht, daß er schon bald eine
Menge Bares brauchen wird.
»Was trinkst du?« fragt Ray. »Das geht auf Rechnung
des Hauses. Ehrlich.«
»Wasser wäre mir am liebsten. Ehrlich.«
Ray lacht. »Wir haben zehn verschiedene Sorten. Die Kids
schlucken einiges weg.«
»Was du gerade bei der Hand hast. Nur nichts mit
Aromastoffen.«
Ray geht um die frei im Raum stehende Stahltheke herum. Im
Tageslicht, das durch die halboffenen Jalousien sickert, wirkt das
Ground Zero staubig und trostlos. Die Verstärker und
Scheinwerfer der Anlage hängen wie riesige schwarze
Insektenpuppen über Crash-Cars mit blutverspritzten, nach vorn
geschleuderten Test-Dummies, brandfleckigen Betonwänden mit den
Silhouetten verdampfter Menschen, Pfützen geschmolzenen und
wieder erstarrten Gesteins.
Ray reicht Alex eine blaue Flasche in Form einer Miniatur-Hantel.
Alex entfernt den Zitronenschnitz, mit dem Ray den Flaschenhals
garniert hat, und nimmt einen tiefen Zug.
Er hat tatsächlich die Nacht durchgemacht. Mit der Gewinnung
der modifizierten Östradiole und Thyrotropin-Hormone, die seine
genetisch veränderten Bakterien mittlerweile absondern. Mit
mehreren Testdurchläufen. Im Moment ist sein
Chromatographen-System dabei, die Hormone zu reinigen, und bis gegen
Abend müßte er mehr als fünfzig Gramm des fertigen
Produkts haben. Er sollte sich eigentlich erleichtert fühlen,
aber statt dessen lastet eine böse Vorahnung wie eine
Zentnerlast auf ihm, eine Undefinierte Furcht, verstärkt durch
die postapokalyptische Dekoration des Ground Zero.
Als Ray fragt, ob er okay ist, entgegnet Alex: »Ich habe den
Club noch nie so gesehen – bei Tageslicht, meine ich.«
Ray nickt. »Er wirkt echt gespenstisch, wenn du keine
VR-Verstärkung hast… irgendwie tot ohne die
Feuerstürme und die Bombeneinschläge, was? Warum gehen wir
nicht nach draußen, Mann, und setzen wir uns eine Weile in den
Schatten?«
»Eigentlich muß ich wieder los. Nur noch
eines…«
»Auf ein paar Sekunden mehr oder weniger kommt es sicher
nicht an. Hast du gewußt, daß ich heute abend mein bestes
Material an Billy Rock verleihe?«
»Echt?«
»Für die Premiere seines neuen Projekts – Killing Fields oder so.«
»Ich dachte, du hättest nichts mit diesen Typen zu tun,
Ray.«
»Ich verdiene soviel, daß ich nicht auf sie angewiesen
bin, aber ich arbeite in der Show-Branche, im Grenzbereich zwischen
Unterhaltung und Kultur.«
»Das hast du schon mal gesagt – vor ein paar Monaten in
Radio Capital.«
Ray zuckt die Achseln. »Was ich damals nicht gesagt habe,
ist, daß mir gelegentlich nichts anderes übrig bleibt, als
mit Arschlöchern wie Billy Rock
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