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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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das, was er jetzt tut,
wenn er in die Welt zurückkommt. Armand putzt sich die Nase mit
seinem Halstuch – und erstarrt, weil er leise Schritte auf dem
knarrenden Fußboden hört. Doppelte Schritte. Die Zwillinge
sind hier.
    Sie finden ihn immer, egal wo er sich versteckt. Es ist
unheimlich. Er versteckt sich jedesmal an einem anderen Ort, und es
gibt so viele Verstecke, droben und im Untergrund, aber die Zwillinge
finden ihn immer. Armand hat sich hinter das schwere Pianola
gequetscht, kauert im entferntesten Winkel des großen Raums,
ganz und gar unsichtbar, aber die Zwillinge steuern direkt auf ihn zu
und rufen leise:
    »Loup Loup Loup!«
    »Loup Garou!«
    »Loup Loup Loup!«
    Zwei Händepaare packen die Oberkante des Pianolas. Es kippt
und stürzt mit einem schrillen Mißton nach vorn. Armand
springt auf und würgt, halb erstickt von den Staubwolken, die
ihn einhüllen.
    Die Zwillinge sehen ihn an, wenden sich ab und sehen einander an,
um dann in wortloser Übereinstimmung loszukichern. Sie sind
klein und spillerig, und sie tragen wie gewöhnlich ihre
zerlumpte Wüsten-Kombatkluft: viel zu große braungrau
gefleckte Jacken und Hosen, anstatt Gürteln mehrfach um die
Taille geschlungene Eisenketten, hohe Baseball-Stiefel. Ein Paar in
Rosa, das andere in Blau. Das ist die einzige Möglichkeit, die
Zwillinge auseinanderzuhalten. Sie haben die gleichen wilden
Züge, halbverborgen hinter schulterlangem Zottelhaar. Ihre
Gesichter sind blau bemalt, und die Augen blitzen erschreckend
weiß unter dem dicken Strich ihrer Brauen. Armand weiß
nicht, wie sie heißen – aber das spielt im Grunde keine
Rolle, weil sie nie einzeln auftauchen. Die Zwillinge sind ein Wesen
in zwei Körpern. Sie lächeln auf ihn herunter, fletschen
grinsend kleine weiße Zähne, eingebettet in fahles
Zahnfleisch.
    »Du bist böse gewesen«, sagt einer.
    »Du bist sehr böse gewesen«, fügt der andere
hinzu.
    Armand legt die Hände über die Ohren und stöhnt. Er
will das nicht hören, aber die Zwillinge lachen nur, beginnen im
Kreis zu hopsen und schadenfroh auf ihn einzukreischen, immer lauter
und ausgelassener.
    »Mister Mike kommt heraus…«
    »… kommt heraus aus seinem Haus…«
    »Sie ist nur ein kleines Mädchen…«
    »… ein armes, kleines…«
    »… ein süßes, kleines…«
    »… obdachloses schwarzes Mädchen…«
    »… doch Mister Mike, der tut ihr weh…«
    »… Mister Mike, der tut ihr schrecklich
weh…«
    »… wenn wir ihn lassen. Und wir lassen
ihn…«
    »… vielleicht nur dieses eine Mal…«
    »… wir lassen ihn vielleicht…«
    »… machen, was er will…«
    »… weil du nicht brav bist…«
    »… weil du uns nicht liebst…«
    »… und das ärgert uns…«
    »… und deshalb ärgern wir dich auch!«
    Die Zwillinge treten nach Armand und setzen ihren Singsang
gemeinsam fort:
    »Kein Soma mehr, wenn du nicht brav bist!«
    Armand rappelt sich hoch. Selbst wenn er sich eisern bemüht,
ruhig zu bleiben, die Zwillinge reizen ihn stets so lange, bis er die
Nerven verliert und losrennt. Sie jagen gern hinter ihm her, und wenn
sie dieses Spiel satt haben, schicken sie die Kobolde, um ihn wieder
einzufangen.
    Armand rennt die Hauptstraße hinunter auf die Burg zu. Ihre
geschwärzten Turmspitzen zerkratzen einen grauen Himmel. Er
läuft vorbei an zerstörten Ladenfronten, vorbei an
verschalten Gebäuden, von denen die Farbe abblättert. An
den Gehsteigkanten hat sich schwarzes, feuchtes Laub angesammelt.
Überall Graffiti, grelles Geschmier, immer wieder der Slogan A bas les Mouches!, die wirbelnden Muster des Feenvolkes, die
Armand nicht anzusehen wagt, weil sie ihm sonst die Seele aus dem
Leib saugen würden.
    Die Zwillinge rufen ihm etwas zu. Er bleibt stehen, dreht sich um
und sieht, daß sie Schußwaffen haben. Echte
Schußwaffen. Auf der anderen Straßenseite geht ein
Fenster klirrend zu Bruch, und von einem morschen Holzbalken fliegen
die Splitter. Was seine Panik verstärkt, ist die Tatsache,
daß die Zwillinge so miserable Schützen sind; es
könnte leicht geschehen, daß sie ihn eher aus Versehen als
absichtlich abknallen.
    Die Zwillinge stellen sich in Pose, pusten den Rauch von der
Mündung ihrer Pistolen und kreischen vor Vergnügen, als sie
sich gegenseitig betrachten. Armand rennt weiter. Sie können ihn
nicht verwunden, zumindest nicht schwer, weil sie Mister Mike
brauchen. Eines Tages werden sie ihn umbringen, aber nicht jetzt.
    Es ist sinnlos, sich zu verstecken, aber Armand rennt dennoch
weiter,

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