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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Morag einen Schauder des
Wiedererkennens aus); das ferne Dröhnen eines
Trommel-Rituals.
    Der Modergestank der nahen Abfallhalden durchdringt die kalte
Luft; überall flattern Papierschnipsel. Lärmende Bulldozer,
die schwarze Rauchwolken in den Himmel blasen, arbeiten an einem
Müllberg, der über die Dächer der Behelfssiedlung
aufragt. Menschen stolpern vor den Maschinen rückwärts und
durchwühlen hastig den Plunder, den die großen Schaufeln
lockern und umpflügen. Es ist ein gefährliches Arbeiten.
Die Bulldozer-Fahrer hoch droben in ihren klimatisierten Kabinen
halten nicht an, wenn jemand stürzt. Erst vergangene Woche
mußte Morag mithelfen, einem Fünfzehnjährigen, der
unter einen Muldenkipper geraten war, beide Beine zu amputieren.
Hinter den sanft gerundeten Kuppen der Müllberge stechen die
Türme des Magic Kingdom in den Neonglanz des Interface, jener
Freihandelszone zwischen den Welten, in der die
Firmen-Schnüffler, die Neugierigen, die Verrückten und die
Händler des Grauen Marktes auf die Gelegenheit lauern, ein paar
Brocken von dem zu erhaschen, was die Feen verhökern oder
wegwerfen.
    Morag und Jules trennen sich und bleiben stehen, wo immer jemand
nach ihnen ruft. Viele hier kennen sie mit Namen; manche wollen sogar
bezahlen, was immer sie können, und Morag nimmt solche Angebote
stets an, weil das wichtig für das Selbstwertgefühl dieser
Leute ist. Die meisten Bewohner dieses Bidonville stammen aus Afrika;
jene, die wissen, daß Morag im Sudan gearbeitet hat, witzeln
manchmal, daß sie ebenfalls den Fehler begingen, hierher zu
flüchten, um dem Loyalitäts-Virus zu entgehen.
    Es ist Sonntag, und sie bekommen viel zu tun. Da sind die
üblichen Kinderkrankheiten, die Diabetiker, die sich keine
Gentherapie leisten können, die Leute mit fortgeschrittenem
Krebs oder voll ausgebrochenem Aids, mit Tuberkulose oder
behandlungsresistenten Rückenmarks- und Blutinfektionen. Augen-
und Hautentzündungen sind hier ebenso an der Tagesordnung wie
Asthma. Obendrein hat sich in den Bidonvilles ein besonders
hartnäckiges TB-Virus breitgemacht, und eine von Morags Aufgaben
ist es, möglichst viele Bewohner der Elendssiedlungen zu impfen,
notfalls auch gegen ihren Willen.
    Das kostet manchmal große Überredungskünste. Die
Ängstlichen und psychisch Gestörten halten alles, was aus
einer Spritze kommt, für eine Art Fembot, der ihr Gehirn
zerstören wird – nicht ganz unberechtigt, denn es gibt eine
Menge illegales Zeug, das schweres Unheil anrichten kann. Morag
selbst wurde erst vor wenigen Wochen, bald nach ihrer Ankunft in
Paris, von einem Liebesbomber überrumpelt: Sie sah
plötzlich eine goldene Kugel in die Tiefe schweben, die sie in
einen Schwarm von Lichtern und ein Gefühl
überwältigenden Friedens hüllte. Die Woge der
Befriedigung verebbte nach dreißig Sekunden, und sie stand mit
verzückter Miene da. Der Anblick hatte dem Blödmann, der
ihre Lustgefühle anzappte, sicher feuchte Träume
beschert.
    All das, und dazu die Samstagnacht-Spezialfälle. Die
Einnahmen der Bettler sind samstags am höchsten, und neben den
ganz normalen Problemen gibt es kleinere Stich- und
Schußwunden, Knochenbrüche, Alkoholvergiftungen, die
Nachwehen eines Alptraum-Trips, und neurologische Schäden durch
Infektionen mit Fulleren-Viren.
    Ein halbwüchsiges Mädchen windet sich in Krämpfen,
weil jemand in der Grenzzone sie für Liebesdienste kaufte und
statt dessen mit einem neuen Fembot bombardierte, der das Interface
in einer Nußschale ist. Morag heftet dem Mädchen eine
Nummer an, telefoniert mit dem Fahrer des Ambulanz-Taxis, einem
schlaksigen, wortkargen Polen namens Kristoff, erklärt der
Mutter des Mädchens, daß in etwa zwanzig Minuten jemand
hier sein wird, um ihre Tochter in die Klinik zu fahren, und eilt
weiter.
    Es ist jetzt dunkel, und zwischen den Baracken ziehen Frostnebel,
vermischt mit dem Rauch von Kochstellen. Als Morag ins Freie tritt,
teilt sich der Nebel wie ein Vorhang, und sie sieht ein kleines
Mädchen mitten in der Gasse stehen.
    »Jemand hat mich aufgeweckt«, sagt das kleine
Mädchen.
    Sie ist nicht älter als drei oder vier, hat eine
glänzendschwarze Haut, und in ihre strammen kleinen Zöpfe
sind Perlen, Gummiringe und Reste von Kupferdrähten und Platinen
eingeflochten. Sie hat eine orangefarbene Wohlfahrtsdecke um die
Schultern hängen, deren Zipfel sie nicht losläßt.
    »Du hast geträumt«, sagt Morag.
    Die Kleine schüttelt den Kopf. »Ich habe Angst«,
erklärt sie ernst.
    »Du

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