Feenland
kalt wie in Edinburgh, aber Afrika hat
mein Blut dünner gemacht.«
Jemand steht mitten auf der Straße, umgeben von Rauch- und
Nebelfetzen, und schreit laut ins Dunkel. Zunächst denkt Morag
an den jungen Mann, der nach UFOs Ausschau gehalten hat, aber nein,
es ist der Vater des kleinen Mädchens, ein Bär von einem
Mann mit einem schwarzen Mantel, der so steif vor Schmutz ist,
daß er wie eine Glocke um ihn absteht.
Er entdeckt Morag und ruft: »Wo sind sie?«
»He, immer sachte!« sagt Jules. »Was gibt es,
Mann?«
»Meine Kinder!« Seine Augen sind rot gerändert und
blutunterlaufen; eine helle Narbe auf der linken Gesichtshälfte
zieht das Augenlid schräg nach unten. Sein Atem riecht scharf
nach Aceton. »Meine Kinder!« wiederholt er. »Wohin
haben Sie die beiden gebracht? Meine Grace und meinen Gabriel! Ich
will sie wiederhaben!«
Nachbarn kommen ins Freie, angelockt von dem Spektakel, Schatten
in den hellen Eingängen der Baracken. Einer redet auf den Mann
ein, sagt ihm, daß die Leute da in Ordnung sind, daß sie
Gutes für die Siedlung tun.
»Sie haben mir die Kinder weggenommen!« erklärt der
Mann trotzig, aber sein erster Zorn scheint verebbt.
»Das kleine Mädchen hatte vorhin einen bösen
Traum«, sagt Morag, halb an Jules und halb an den Schwarzen
gewandt. »Ich helfe Ihnen suchen. Vielleicht hat sie im
Halbschlaf noch einmal die Hütte verlassen und diesmal ihren
Bruder mitgenommen.«
»Wir suchen alle nach ihnen«, sagt Jules und nimmt den
Mann am Arm.
Morag empfindet noch keinerlei Panik; schließlich
können sich die Kleine und ihr Bruder nicht sehr weit von der
Hütte entfernt haben. Aber dann taucht der UFO-Betrachter mit
den kurzgeschorenen Haaren aus dem Nebel auf und erklärt:
»Die haben sie geholt!« Er deutet auf die Müllberge
und fängt zu lachen an.
Morag und Jules wechseln einen Blick und rennen los, ohne auf den
Mann zu achten, der zwischen den Hütten umherstolpert,
weinerlich die Namen seiner Kinder ruft und jeden anbrüllt, der
ihn zu beschwichtigen versucht.
Im Laufen stellt Morag den Kegel ihrer Taschenlampe breiter und
schickt den Strahl über Berge und Täler des
zusammengepreßten Mülls, in das Sternengefunkel
unzähliger Glas- und Metallsplitter. Sie bemerkt im Augenwinkel
vage Schatten, schwenkt die Taschenlampe herum und sieht weit weg ein
paar kleine Gestalten durch das Dunkel und den Rauch huschen.
Jules rennt bereits auf sie zu. Morag folgt ihm, ruft im Laufen
den Namen des kleinen Mädchens. Lange Strähnen lösen
sich aus ihrem Zopf und peitschen ihr ums Gesicht.
Obwohl Bulldozer und Kipper den Müll eingeebnet haben, ist
die Oberfläche trügerisch und holprig. Morag stolpert durch
Abfallschichten, die unter ihren Füßen nachgeben, rutscht
auf einer losen Plastikplane aus und schlittert in eine matschige
Mulde, die einen erstickenden Methangestank verströmt. Sie
versucht sich hochzurappeln, versinkt mit den Händen in feuchtem
Unrat und schüttelt fettige Batzen von den Fingern. Weiter vorn
laufen zwei, vier, sechs Gestalten durch den Widerschein eines
brennenden Reifenstapels. Dann dringt beißender schwarzer Rauch
auf Morag ein, und sie sieht nichts mehr.
»Laß dir helfen!« sagt Jules ruhig.
»Danke.« Morag grinst, als er ihr die Hand reicht und
angeekelt zurückzuckt.
»Ich habe sie gesehen«, meint er.
»Ich auch.«
»Sie könnten uns allerhand Probleme bereiten.«
»Sie haben die Kinder, Jules! Los, wir müssen
weiter.«
Ein Stacheldrahtzaun grenzt die Müllhalde ab, doch Jules
findet rasch eine Lücke. Morag zwängt sich vor Jules durch
und stolpert eine steile Böschung hinunter, die an zwei
Schienensträngen endet.
Es ist die alte Schnellbahn-Linie ins Magic Kingdom, ins
Zauberreich. Morag hastet über die Betonschwellen und
läßt den Strahl der Taschenlampe über die
Doppelgleise wandern. Vor ihnen tut sich ein Tunnel auf.
Morag wartet, bis Jules sie eingeholt hat, und sagt:
»Vielleicht sind sie gar nicht in diese Richtung
gelaufen.«
»Sollten wir nicht besser die Polizei
verständigen?«
»Die rücken doch nicht aus, um zwei obdachlose Kinder zu
suchen, Jules!«
»Was haben wir zu verlieren? Außerdem kommt ein Zug.
Spürst du die Druckwelle?«
Ein kalter Wind bläst ihnen aus dem Tunnel entgegen. Er
riecht nach Öl und Elektrizität. Morag und Jules haben sich
eben zur Umkehr entschlossen, als sie den Schrei hören. Er ist
schrill und grauenhaft. Er hat nichts Menschliches an sich.
Morag rennt in den Tunnel, auf den Laut
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