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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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zu. Jules ist dicht hinter
ihr. Das Licht ihrer Taschenlampe schwankt die mit Abfall
übersäten Gleise entlang, streift die fettigen
Kabelbündel an der gekrümmten Tunnelwand. Kleine Mäuse
fliehen vor der Helligkeit, wuseln über vergilbte Zeitungsfetzen
und nasse Blätterklumpen. Eine Coladose glitzert wie ein
Juwel.
    Morag rennt dem wachsenden Sturm entgegen. Papierschnipsel tanzen
um ihre Füße und wirbeln davon. Jules packt sie an der
Schulter und preßt sie gegen die Wand, als der Zug aus dem
Dunkel hervorbricht und einen Moment lang die Szene mitten auf dem
freien Schienenstrang erhellt.
    Der Zug dröhnt vorbei, dröhnt und dröhnt in einem
endlosen Flickern leerer, heller Fenster, reißt Morags Atem
mit. Sie schreit in sein Dröhnen.
    Der Lärm zerfasert in Windböen. Der Zug ist vorbei.
    Auch Jules knipst nun seine Lampe an. Der Strahl erfaßt
gerade noch ein paar Gestalten, die auseinanderstieben, und ein
regloses Bündel, das zwischen den Schienen liegt. Ein halbes
Dutzend Kinder, gefolgt von einem Mann. Die Kinder wirken bucklig und
bewegen sich in einer merkwürdig hüpfenden Gangart. Der
Mann dreht sich um. Seine Züge leuchten weiß im Kegel der
Taschenlampe. Ein trockener Knall, eine Schiene schlägt Funken,
und etwas pfeift den Tunnel entlang.
    Morag hat oft genug Schüsse gehört, um die Gefahr
richtig einzuordnen. Sie wirft sich in den ölgetränkten
Schotter zwischen den Schienensträngen. Jules kauert neben ihr.
Er hat seine Taschenlampe ausgeschaltet. Wieder ein Schuß, dann
eine lange Stille.
    »Neun Millimeter Halbautomatik«, wispert Jules, der in
La Gouette d’Or aufwuchs, mitten in den Straßenkriegen,
die zwischen den Gangs der bereits eingebürgerten Algerier und
den neuen Dschihad-Flüchtlingen tobten.
    »Wir müssen hingehen und nachsehen«, wispert Morag
zurück.
    Das Bündel zwischen den Schienen ist das kleine Mädchen.
Sie ist entkleidet und liegt wie weggeworfen unter einem Symbol, das
jemand mit weißer Farbe an den schmutziggrauen Beton der
Tunnelwand geschmiert hat. Eine kleine Ewigkeit lang fesselt dieses
Symbol Morags Aufmerksamkeit. Es ist eine Art Spinnenklecks aus zwei
gezackten, raffiniert verschlungenen Mandalas, die sich zu drehen und
wie eine Spirale ins eigene Zentrum zu stürzen scheinen.
    Morag zwingt sich, den Blick von dem Symbol zu lösen.
Über den Kopf der Kleinen ist die orangefarbene Decke geworfen,
und auf ihrem nackten Bauch breitet sich ein roter Stern aus. Blut
sammelt sich unter dem Körper, schwarz und glänzend im
Halbdunkel des Tunnels.
    Jules beginnt mit Herzmassage und künstlicher Beatmung. Morag
läßt ihn allein unter dem weißen Spinnensymbol und
läuft weiter. Aus ihrem Handy kommt ein gestörtes Signal,
als sie das andere Ende des Tunnels erreicht. Atemlos berichtet sie
Dr. Science, was geschehen ist, gibt ihre Position durch und bittet
ihn, die Polizei zu verständigen.
    Auf der einen Seite der Bahnlinie krallen sich die Türme des
Feenschlosses in das Grellorange des Himmels; auf der anderen Seite
erstreckt sich der Lichtvorhang des Interface. Warme gelbe Vierecke
von Hotelfenstern, die unruhig wabernden Pastelltöne der
Firmenreklamen, der Geisterschein der Hologramm-Logos. Während
sie die Schienen entlangstolpert, hört Morag das ferne Kreischen
von einem Dutzend rivalisierender Soundsysteme und das weiße
Rauschen der gigantischen Gebläse, die mit ihrer Luftbarriere
das Interface gegen die verseuchte Atmosphäre des Magic Kingdom
abschirmen.
    Jemand ruft nach Morag. Sie streicht ihr Haar zurück und hebt
den Kopf. Droben auf der Böschung steht ein junger Mann, der ihr
zuwinkt. Während sie sich über den rutschigen Grashang nach
oben arbeitet, schreit sie ihm zu, ob er ein paar Leute mit einem
kleinen Jungen gesehen hat, die hier vorbeigekommen sind.
    »Ich hab nicht aufgepaßt.« Sie steht vor einem
hochgeschossenen, schlaksigen Teenager, dessen Züge unter der
schwarzen Maske und der Riesenbrille kaum zu erkennen sind. Er
trägt Lederjeans und eine schwarze Bomberjacke, in der er
aussieht wie eine Handgranate, die jeden Moment explodieren kann. An
seinem Gürtel ist ein Computer festgehakt, von dem ein Kabel zu
seiner Brille führt. Der Junge ist eine Art Penetration-Jockey
oder Perimeter-Peeper, der mit Hilfe eines ferngesteuerten Roboters
heimlich die Barrieren der Feen zu überwinden versucht, entweder
aus Abenteuerlust oder auf der Suche nach Informationen, die er
verhökern kann. Viele probieren das aus, aber bisher hat

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