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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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wird sie von hier vertreiben, auch nicht
Dr. Science. Sie ärgert sich weniger über die Vertuschung,
wenn es eine ist, sondern eher darüber, daß der alte
Bastard sie in eine Ecke gedrängt hat, wo sie schlecht nein
sagen kann, ohne undankbar oder wortbrüchig zu erscheinen. Sie
muß ihren beruflichen Verpflichtungen nachkommen. Tatsache ist,
daß sie das Stadium der Verweigerung erreicht hat. Die zweite
Phase des Schocks. Später wird die Trauer einsetzen, und ganz
zuletzt die Akzeptanz. Ihr Leben wird weitergehen. Sie wird nicht
vergessen, wie sie das kleine Mädchen zugerichtet haben, die
furchtbare Verstümmelung, die fehlenden Eierstöcke, aber
das Geschehen wird sie nicht verfolgen. Überleben heißt,
das Böse zu bewältigen und das Gute in Erinnerung zu
behalten.
    Dann denkt Morag plötzlich an den armen kleinen Jungen und
muß zugleich weinen und lachen. Sie hat ein Land hinter sich
gelassen, in dem eine Million Menschen Selbstmord begingen, und sie
hängt sich am Schicksal eines einzelnen kleinen Flüchtlings
fest.
    Der Tee ist kalt geworden. Sie spült sorgfältig die
Tasse aus, trocknet sie ab, räumt sie auf. Sie stellt fest,
daß sie alles sehr sorgfältig macht. Als sei die Welt mit
einem Mal zerbrechlich wie eine Eierschale.
    Sie trocknet ihr Haar, flicht es zu einem Zopf, zieht Jeans und
einen Pullover an, bestellt bei ihrem Apartment eine Dose
Bohneneintopf und ein Fladenbrot und ißt, während das
Fernsehgerät im Wohnzimmer vor sich hinmurmelt und ihr das
Gefühl gibt, nicht völlig allein zu sein. Sie bestellt ein
Taxi, ein Luxus, den sie sich kaum leisten kann und doch dringend
nötig hat. Wenn man sie schon in den entferntesten Winkel des
Mobilen Hilfstrupps verbannt hat, muß sie ein wenig auf den
Putz hauen und sich die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens
gönnen.
    Alle Nachrichtensender sind voll von Berichten und Kommentaren
über die Marsexpedition. Die Astronauten schlafen jetzt, nachdem
sie den Lander-Einsatz vorbereitet haben. Eine Mobot-Kamera zeigt den
Landeplatz, eine Ebene mit roten, halb vom Sand begrabenen
Felsblöcken, die sich unter einem metallic rosa Himmel
ausbreitet. Morag verfolgt das Ganze ohne besondere Anteilnahme, als
ein Signal die Sendung unterbricht; der Fernseher verkündet,
eben sei eine Meldung über die Bidonvilles hereingekommen, die
sie interessieren könnte.
    »Ich bin bereit.«
    Sie rechnet mit Enthüllungen über den Mordfall, aber
statt dessen bringen sie einen Kurzbericht über eine Protestdemo
von Flüchtlings-Aktivisten zum Interface. Aufnahmen aus der
Totale von Menschen, die eine dunkle, überwachsene Straße
entlangmarschieren und selbstgefertigte Spruchbänder schwenken: Wir sind keine Versuchstiere! Finger weg von unseren Gehirnen!
Kindermörder! Eine aufgebrachte Menge hinter einem
Stacheldrahtverhau, angestrahlt von Scheinwerfern,
Antiterror-Einheiten in Kampfanzügen und kugelsicheren Westen
auf der anderen Seite der Barriere. Steine, die aus der Nacht in die
Flutlicht-Helle fliegen, und plötzlich ein Sturmangriff der
Polizei, angeführt von einem halben Dutzend Berittener; die
Köpfe und Flanken der muskelbepackten, genmanipulierten Pferde
sind durch Chitinpanzer geschützt. Ein kurzer Kommentar
informiert Morag, daß der Vorfall etwa zwanzig Minuten
zurückliegt und die Demo mittlerweile aufgelöst ist.
    Morag zappt durch die lokalen Sender und versucht Näheres
über die Protestkundgebung zu erfahren, als das Apartment
verkündet, daß ihr Taxi vorgefahren ist. Widerstrebend
packt sie ihre Tasche, schlüpft in den Steppmantel und geht nach
unten.
     
    Der dicke Mann, der eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter
hinterließ, wartet vor dem Eingang des Wohnblocks. Als Morag
sich an ihm vorbeizudrücken versucht, sagt er hastig und mit
starkem Londoner Akzent: »Ich weiß, was geschehen ist, Dr.
Gray. Aber deshalb bin ich nicht hier.«
    »Ich kann und will nicht mit Ihnen sprechen«,
erklärt Morag. »Sie verstoßen gegen das Gesetz, wenn
Sie mich aufhalten und belästigen!«
    Ihr Herz klopft plötzlich wie verrückt. Ihre frisch
geschnittenen Fingernägel graben sich schmerzhaft in den
Handballen, als sie den Riemen ihrer Tasche fester umklammert. Das
verdammte Taxi parkt auf der anderen Straßenseite.
    »Ich habe nichts mit den Medien zu tun«, fährt der
dicke Mann fort und folgt ihr, als sie an den geparkten Stadt-Minis
entlangrennt. Es gibt zwei Sorten von Dicken, die einen mit
ausladenden Hinterteilen, die anderen ohne. Er gehört zur

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