Feenland
verarbeitet, durch
Gespräche mit all den anderen Helfern und psychologische
Betreuung. Ich bin okay, Nina.«
»Daran zweifle ich auch nicht«, sagt Nina. »Aber es
ist keine Schande, wenn du mal eine Pause einlegst. Denk darüber
nach!« Morag verspricht es ihr.
Morag ist auf dem Heimweg zu ihrem Apartment, als das Handy-Signal
ertönt. Es ist Dr. Science. Er will mit ihr über den, wie
er es ausdrückt, bedauerlichen Zwischenfall der vergangenen
Nacht sprechen, und bestellt sie für den Nachmittag ins Depot
des Mobilen Hilfstrupps.
»Verdammt!« sagt Morag laut mitten auf der belebten
Straße. Dann macht sie kehrt und steuert die nächste
Metrostation an.
Das Depot liegt in der Flugschneise von Roissy-Charles de Gaulle
und ist eigentlich eine stillgelegte Fabrik für
Beleuchtungstechnik, die dem Konkurrenzdruck der Nanotechnik nicht
standhalten konnte. Nur Gisele Gabin ist da, als Morag eintrifft.
Gisele schweißt wieder mal den Rahmen eines der verbeulten
Einsatzfahrzeuge, und die Funken, die vom Chassis des aufgebockten
Wagens sprühen, erfüllen die kalte, hangarähnliche
Halle des Depots mit grellem, orangeroten Licht. Sie sagt, daß
sie Dr. Science heute noch nicht zu Gesicht bekommen hat, und Morag
fragt sich, was der alte Bastard von ihr will.
Müde und gereizt überläßt sie Gisele ihrer
Arbeit und schlendert umher, die Hände tief in den Taschen ihres
Steppmantels vergraben, bis Dr. Science endlich auftaucht, zerstreut
und ohne ein Wort der Entschuldigung. Er bittet Morag nicht in sein
Büro, sondern spricht mit ihr an Ort und Stelle, zwischen
Fahrzeugen, deren Batterien an Ladegeräten hängen; ihr
Summen erinnert an Bienen, die im Winter ihren Stock warmhalten.
Als Teil des Teams, doziert Dr. Science, weiß Morag sicher,
wie wichtig das öffentliche Image ihrer Organisation ist. Eine
solche Geschichte, na ja, sie weiß schon, etwas bleibt immer
hängen, das ist das Problem. Eine solche Geschichte könnte
gegen das Team verwendet werden. Er schätzt die Art, wie sie
sich einbringt, ihr Engagement. Das ist selten, und das ist sein
schönster Lohn, die Zusammenarbeit mit so engagierten Leuten.
Wenn sie also das Team weiterhin unterstützen möchte, hat
er einen Einsatzort im Sinn, wo sie wirklich gebraucht wird.
Außerdem ist es höchste Zeit, daß sie auch die
anderen Aktivitäten des Teams kennenlernt. In der Klinik werden
dringend Leute benötigt, und sie erweist ihm einen ganz
persönlichen Gefallen, wenn sie dort einspringt. Zugleich
wäre es sicher eine gute Therapie, ein Abstand von all den
unangenehmen Ereignissen…
»Was? Was genau verlangen Sie von mir?«
Morag hat den Sinn seiner Rede nicht ganz mitbekommen. Sie ist
müde, und ein Flugzeug, das über sie hinwegdonnert,
läßt das Sägezahn-Dach der Fabrikhalle dumpf
vibrieren.
»Es ist kein so harter Job und sehr viel weniger
gefährlich als der Einsatz in den Bidonvilles.«
Dr. Science beherrscht den Trick, die Haut um seine Schläfen
so in Fältchen zu legen, daß die Augen hinter den runden,
goldgeränderten Brillengläsern zu blinzeln scheinen. Er ist
ein derber, jovial-großväterlicher Mann mit kräftigem
rötlichen Haar, das er zu einem buschigen Pferdeschwanz
zusammenbindet. Es geht das Gerücht um, daß ein
Schweineherz sein eigenes Pumporgan unterstützt, aber das
könnte auch Verleumdung sein. Er gehört zu den Typen, die
mit zunehmendem Alter über sich hinauszuwachsen und mehr und
mehr von der Energie ihrer Umgebung aufzusaugen scheinen.
Er sagt: »Die Polizei möchte, daß Sie sich
momentan vom Magic Kingdom fernhalten. Das ist eine ganz normale
vorbeugende Maßnahme, für den Fall, daß die
Slumbewohner Sie mit Ihren Gerüchten beeinflußt
haben…«
»Wenn Sie damit die Feen-Übergriffe meinen – das
sind keine Gerüchte!«
»Ich verstehe durchaus, was Sie fühlen, aber wir sind
auf die Kooperation der Polizei angewiesen.«
»Was ist mit dem kleinen Jungen?«
»Die Polizei sucht nach ihm«, sagte Dr. Science.
»Sehen Sie, jedesmal wenn ich meine Leute in die Bidonvilles
schicke, sorge ich mich um ihre Sicherheit. Sie müssen mir nicht
beweisen, daß Sie Mut haben, Morag. Das haben Sie in Afrika zur
Genüge bewiesen. Sie verdienen eine Pause, und angesichts Ihres
Engagements ist das vermutlich das Beste, was ich für Sie tun
kann.«
Seine Worte krallen sich wie kleine Haken unter Morags Haut, ein
Mischmasch aus Pflichtgefühl und Zweckmäßigkeit. Ihr
ist klar, daß er sie und ihr Gewissen unter Druck setzt,
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