Fehlschuss
totschlagen ist ein ziemlicher Unterschied“,
unterbrach Chris sie und hob abwehrend die Hände. „Ich weiß, wie Sie`s gemeint
haben.“
„Sicher?“
„Absolut! Aber sagen Sie, diese Kamera. Hätte sie die irgendwie zu
Geld machen können?“
Karin hob die Achseln. „Ja und nein! Es war eine alte Hasselblad, die
ich oft zu Außenaufnahmen mitgenommen habe. Ich bin freiberufliche Fotografin.
Es war ein ziemlich wertvolles Sammlerstück. Auf dem Gehäuse ist allerdings
eine Plakette mit meinem Namen aufgeschweißt. Sie also in einem Fotoladen zu
verkaufen hätte kaum funktioniert. Die Händler sind im Allgemeinen sehr
sensibel und misstrauisch, wenn ihnen so etwas angeboten wird. Aber auf
irgendwelchen anderen Wegen — wer weiß?“
In ihren Blick war etwas Sehnsüchtiges getreten, was Chris zu der
Frage veranlasste: „Sie haben wohl sehr an der Kamera gehangen?“
Karin lachte auf. „Merkt man das? Ja, stimmt. Wissen Sie, wenn Sie vom
Fotografieren leben wollen, müssen Sie erstens verdammt gut sein und zweitens
in der Anfangszeit eine Menge Scheißjobs machen. Und da war die alte Dame
ständig bei mir. All diese Scheißjobs haben wir zusammen gemacht.“
„Verstehe! Und dann haben Sie die besseren Jobs miteinander gemacht!“
„So ist es“, antwortete sie. „Ich arbeite jetzt viel für Verlage.
Bildbände. Reiseführer. Themenkalender sind der große Renner im Moment.
Manchmal mache ich natürlich auch noch so blödsinnige Sachen wie Hochzeiten und
neunzigste Geburtstage. Heute Nachmittag muss ich auch zu einer Hochzeit. Hab
mich aus alter Freundschaft dazu überreden lassen.“
Sie verzog das Gesicht und nestelte noch eine Zigarette aus der
Packung. „Bedienen Sie sich.“
Chris fischte in dem Päckchen herum und fragte dabei: „Sagen Sie,
fällt Ihnen irgendetwas zur Hünefeldstraße ein?“
Karin überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nein! Wieso?“
„Dort habe ich sie gefunden. Ich dachte, wenn wir herausfinden, woher
sie kam …“
„Spielen eigentlich alle Anwälte Privatdetektiv?“, unterbrach Karin
ihn amüsiert.
„Manche! — Nein, im Ernst, irgendwie stecke ich da mit drin. Und wie
gesagt: Es macht mich ziemlich wütend, wenn eine Frau totgeschlagen wird!“
Chris erntete einen abschätzenden Blick. Diesmal jedoch weitaus
freundlicher als zu Anfang ihres Gesprächs. Er erwiderte diesen Blick mit
schiefgelegtem Kopf.
„Sie haben gedacht, ich wollte Ihnen einen Staubsauger verkaufen, als
ich vor der Tür stand, stimmt´s?“, fragte er dann leichthin.
Karin grinste, und gleichzeitig wurde ein Teil von ihr plötzlich sehr
erst. „Nicht unbedingt“, antwortete sie langsam, „ich bin nur etwas
empfindlich, was meine Privatsphäre anbelangt.“
„Warum haben Sie mich dann reingelassen?“
Bruchteile von Sekunden lang spiegelte das unverschämte Blau eine
unendliche Traurigkeit wider, einen für Chris erschreckenden Schmerz.
„Mir imponieren einfach Menschen, die hartnäckig sind“, sagte sie
jedoch lächelnd. „Ihre Frau muss sehr stark sein, um es mit Ihnen auszuhalten.“
War das nun ein Kompliment oder was?
„Ich bin seit zwei Jahren solo“, platzte Chis heraus.
„Und davor?“
Er war so überrumpelt von dieser Direktheit, dass er einfach
weiterplapperte. „Davor war ich acht Jahre mit einer Ärztin zusammen — mehr
schlecht als recht. Das Leben ohne sie bekommt mir viel besser. Hat zwar eine
Weile gedauert, bis ich das begriffen habe, aber mittlerweile genieße ich meine
Unabhängigkeit.“
Erschrocken hielt er inne. Was tat er denn da? Er war wirklich und
wahrhaftig auf dem besten Weg, vor einer wildfremden Frau sein Leben
auszubreiten. Von den acht Jahren mit Anne zu erzählen, von den ersten Monaten
ohne sie. Von ihrer ersten Begegnung in einer schäbigen Kneipe. Wie Anne da an
der Theke gestanden hatte in Seidenbluse und Kaschmir-Blazer. Ein Fremdkörper
zwischen frisch gezapftem Bier und kalten Frikadellen.
„Erzählen Sie doch weiter!“, ermunterte Karin ihn, den Kopf in die
rechte Hand gestützt und mit leuchtenden Augen.
„Den Teufel wird ich tun!“, wehrte er lachend ab. „Sie schnüffeln mein
Privatleben aus!“
„Warum nicht?“, gab Karin zurück. „Sie interessieren mich einfach!“
Chris spürte, wie sein Gesicht die Farbe eines gekochten Hummers
annahm. Er hätte sich ohrfeigen können dafür. Ihm fiel nichts Besseres ein, als
sich zu räuspern und dann abrupt das Thema zu wechseln. „Was können Sie sonst
noch zu
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