Fehltritt Im Siebengebirge
großen Güterwaage, die aber nicht mehr betriebsbereit sein konnte, denn die mit Eisenkanten eingefaßte Bodenplatte hatte sich durch Dreck und Staub fest mit dem geteerten Vorplatz verbunden. – Wie nicht anders zu erwarten, war das Amt an diesem späten Samstag geschlossen.
Freiberg fuhr zurück, am Stadion entlang auf die Königswinterer Straße. Hinter der Feuerwache 2 an der Maarstraße, unweit einer Bedachungsfirma, wo es nach Teer roch und von Zeit zu Zeit brannte, hatte sich die Spedition Siemann und Co. Import-Export, immer mehr in das freie Feld ausgedehnt.
Ein altes Wohnhaus mit dem Hinweisschild »Büro« begrenzte den Speditionshof. Südwestlich schloß sich im rechten Winkel eine kleine Lagerhalle an. Ziemlich neu war die achtzig bis hundert Meter nach Westen gelegene große Halle, die im vorderen Teil als Lager diente und im rückwärtigen Teil als Garage genutzt wurde. Die vorzüglich ausgestattete KFZ-Werkstatt hatte eine besondere Einfahrt. Das Gebäude war ganz offensichtlich mit dem Umsatz gewachsen und mehrfach nach Süden durch Anbauten verlängert worden. Ein Dutzend rot-weiß und blau-weiß leuchtender Lastkraftwagen, einige abgekoppelte Hänger und zwei Sattelzugmaschinen standen ausgerichtet auf dem Rangierplatz. Gearbeitet wurde nicht. Das Fahrverbot an Wochenenden bestimmte schon seit Jahren den Arbeitsrhythmus der Transportunternehmen.
Wie ein Jüngling, der sich seines ersten Autos erfreut, drehte Kriminalhauptkommissar Freiberg, Leiter des 1. Kommissariats im Polizeipräsidium Bonn, einige schnelle Runden auf dem weiten Platz. Der R 4 zeigte, was er an Schieflage in den Kurven zu bieten vermochte. Freiberg hielt auf einem Parkfeld vor dem Büro, stieg aus und ging an den Parterrefenstern entlang. Beim Hineinsehen legte er die Hände wie Scheuklappen an die Augen. Nichts rührte sich. Der obere Teil des Hauses wurde als Wohnung genutzt, wie die gutbürgerlichen Gardinen erkennen ließen. Durch die angebaute Halle war hinter dem Gebäude ein atriumartiger Hof entstanden, den ein hoher Palisadenzaun, dicht bewachsen mit Knöterich, zum erweiterten Speditionshof hin abgrenzte. Die eingelassene Holzbohlentür hing in gut geölten Angeln. Sie war nicht abgeschlossen und ließ sich leicht ohne Geräusch aufstoßen.
Freiberg vernahm ein leises Plätschern. Seine Augen erfaßten ein verspieltes Paradies, welches man in diesem nicht gerade durch Wohnqualität ausgezeichneten Industrieviertel niemals vermutet hätte. Die grauen Wände des Hauses und der Lagerhalle hatten sich hinter wildem Wein versteckt. Grüne Schlagläden hielten die Sonne von den Fenstern fern. An das Haus rechts angelehnt erstreckte sich eine Pergola. Um ihre Stützpfeiler rankten sich im Wechsel Clematis und Glyzinien. Eine mächtige Eibe füllte den Winkel zwischen Palisade und Hallenwand. Der überquellende Knöterich verbarg die Pforte, durch welche man vom Haus mit wenigen Schritten auf den Speditionshof gelangen, oder gleich links über einen von Rhododendron gesäumten Pfad das Grundstück fast unbemerkt verlassen konnte.
Im Swimmingpool vor der Pergola brach sich das Blau eines späten Sommerhimmels in den Streifen der sanft verlaufenden Wellen des klaren Wassers. Die Frau mit dem lose aufgesteckten blonden Haar schwamm in gleichmäßigen Zügen in Richtung zum Haus und hatte Freiberg noch nicht bemerkt. Er wollte nicht Voyeur im Gebüsch spielen, obwohl die Situation dazu verlockte. Er trat einige Schritte vor.
Sein »Hallo, bitte verzeihen Sie die Störung« ließ die Frau eine erschreckte Wendung vollziehen.
»Wer sind Sie? – Verschwinden Sie, oder ich rufe um Hilfe!« Sie hatte Angst und würde in der nächsten Sekunde losschreien. Freiberg blieb keine Zeit zum Überlegen. Er griff in die Tasche und hielt seinen Dienstausweis mit gestrecktem Arm hoch über den Kopf.
»Keine Angst – Polizei! In einer Unfallsache!«
Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Komik. Dort im Swimmingpool eine nackte Frau, die durch Wassertreten zur Leiter gelangen wollte, ohne den Eindringling aus den Augen zu lassen, hier ein junger Kommissar in saloppem Zivil mit hoch zum Himmel gestrecktem Arm, der mit einem Ausweis wedelte, um Vertrauen zu erwecken.
»Sie sind Barbara Siemann.«
»Ja – und?«
Der ausgesprochene Name und die friedfertige Haltung wirkten entspannend. Die blonde Frau verhielt und machte sogar einen Schwimmzug in Richtung Freiberg zur Beckenkante. »Legen Sie Ihren Ausweis dort hin und dann
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