Feind aus der Vergangenheit
Becker.“
Der Frisör Tobernargl lächelte.
Die Frau lief in den Laden.
„Sie ist Rentnerin“, sagte
Tobernargl zu Tim. „Wenig Geld. Kann sich kein Telefon leisten. Wenn es sich um
Ortsgespräche handelt, lasse ich sie umsonst fernsprechen.“
Die Frau kam zurück, aufgelöst,
hektisch.
„Herr Tobernargl, wissen Sie
die Nummer von der Gendarmerie? Hier!“ Sie schwenkte die gefaltete Zeitung mit
einer Hand. „Diesen Verbrecher, der hier abgebildet ist, den habe ich gesehen.
Er ist bei meinem Nachbarn. Bei Herbert Triebel.“
10. Giftschlange im Sweatshirt
Später Vormittag. Und wieder
klingelte bei Korf das Telefon. Ahnungsvoll nahm er ab.
„Und?“ fragte Nero. „Hat die
Schlange getan, was sie sollte?“
„Äh...“, Korf rieb hastig über
sein Geiergesicht. „Noch nicht.“
„Weshalb nicht?“
„Ich möchte, daß Henry dabei
ist.“
„Und? Ich denke, er ist bei
dir.“
„Nein. Im Moment versteckt er
sich, weil…“ Korf berichtete und fügte hinzu: „Aber aus der Wohnung dort will
er abhauen. Weil sein Foto vielleicht in der Zeitung ist und die Frau das
bemerkt haben könnte.“
„Sein Foto ist in der Zeitung.“
Korf pfiff. Es klang wie
Anerkennung, sollte aber Betroffenheit ausdrücken.
„Aber Henry wird schon
durchkommen“, sagte Nero. „Der weiß sich zu helfen. Natürlich kann’s eine Weile
dauern, bis er antanzt bei dir. Du wartest nicht auf ihn. Du gehst in den
Keller, wirfst die Grünotter rein zu der Frau und verriegelst die Tür wieder.
Dann kannst du dir meinetwegen die Ohren zuhalten, falls du zartbesaitet bist.“
„Chef, ist es denn überhaupt
noch sinnvoll?“
„Was?“
„Die Frau um die Ecke zu
bringen, meine ich. Jetzt, wo Henry den Bullen bekannt ist, hat sich doch alles
geändert. Wenn sie ihn erwischen, bin ich dran. Egal, ob die Frau mich
identifiziert oder nicht.“
„Henry wird nicht erwischt.
Außerdem geht’s hier um ein Prinzip. Ein Neroist kennt keine Gnade. Dieses Weib
ist euch in den Weg gekommen. Also weg mit ihr.“
„Nein, Chef! Ich mach’s nicht.
Ein Bankraub ist ein Bankraub, und ein Mord ist ein Mord.“
Der unbekannte Drahtzieher
schwieg einen Moment. Die ausdruckslose, metallische Stimme schien Luft zu
schöpfen. Nero spürte, daß es Korf ernst war mit seiner Weigerung.
„Na, schön! Wenn du die Nerven
nicht hast. Ich habe sie. Ich bin ganz in der Nähe. In einigen Minuten kann ich
dort sein. Aber wir bleiben bei unserem System: Ihr kennt mich nicht. Also hör
genau zu: Du läßt die Haustür spaltweit offen, gehst in die Garage und schließt
das Tor. Du wartest. Wenn ich die Schlange zu der Frau reingeworfen habe, klopfe
ich dreimal ans Garagentor. Aber du zählst dann noch bis 100, bevor du
rauskommst. Klar?“
„Bis 100 zählen und dann...
klar!“
„Um Mitternacht bringt ihr die
Tote zum Park. Um die Otter einzufangen, braucht ihr nur eine Wolldecke. Drüber
werfen und zupacken. Aber laßt euch nicht beißen. Ende.“
*
Frau Becker, Herbert Triebels
Nachbarin, konnte kaum Schritt halten mit Tim.
Die beiden hasteten zurück.
Frau Becker hatte noch nicht angerufen bei der Polizei. Tim zog — nein, zerrte
die alte Dame mit sich, brauchte sie als Wegweiserin, denn auf keinen Fall
wollte er Zeit verlieren — nicht eine Sekunde.
„Hier!“ keuchte sie. „Hier
hinein!“
Eine graue Mietskaserne,
Stockwerk auf Stockwerk. Die Eingangstür aus geriffeltem Milchglas, durch das
viele Sprünge liefen, aber das Glas hielt.
Jetzt war ein Schatten
dahinter, und die Tür wurde geöffnet.
Tim starrte in Henry
Spähtvolgers Teiggesicht. Auf Armlänge standen sie sich gegenüber, und die
kleinen Blinzelaugen des Verbrechers weiteten sich vor Schreck.
„Das... das…“, japste Frau
Becker, „ist er.“
„Weiß ich!“ sagte Tim und
donnerte ihm die rechte Faust auf die Nase.
Das allein hätte ausgereicht
als strenge Bestrafung, aber Tim war mit dem Entführer seiner Mutter noch lange
nicht fertig.
*
Streifenwagen hielten vor der
Mietskaserne. Uniformierte sprangen heraus. Inspektor Havliczek war der erste
im Hausflur.
Frau Becker saß auf der
untersten Treppenstufe. Auf den oberen Stufen standen Bewohner, meistenteils
stumm vor Schreck.
Henry Spähtvolger lag in einer
Ecke. Er sah übel aus. Die Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt, mit seiner
eigenen Krawatte, einem knallbunten Produkt aus roher Seide.
„Der Junge“, erklärte Frau
Becker, „hat ihn ausgefragt. Ich konnte nicht
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