Feind in Sicht
frischen Nordostwind anliegend. Der Himmel war wolkenlos und die Hitze – trotz des Windes – kaum zu ertragen, so daß die Männer, die nicht gerade eine Arbeit zu erledigen hatten, unter Deck gingen oder sonstwo einen schattigen Platz zum Ausruhen suchten.
Bolitho trat zur Leiter, die zur Schanz hinaufführte, kletterte ein paar Stufen hoch und beobachtete die
Hermes,
die sich etwa zwei Kabellängen hinter ihnen vorwärts wälzte. Sie hatte ihre Rahen so hart angebraßt, wie es überhaupt ging, und bei dem von Backbord vorn einfallenden Wind standen alle Segel voll und drückten das Schiff so stark auf die Steuerbordseite, daß die See fast über ihre Bordwand schlug.
Er hatte gerade die neu gewonnenen Seeleute begrüßt und war ermüdet und entmutigt nach achtern gekommen. Während er zu ihnen sprach, hatte er versucht, ihre Reaktion auf seine Worte herauszuspüren, irgend etwas wie einen Funken der Begeisterung oder der Ablehnung. Wenn überhaupt etwas, war es eher das letztere gewesen, was er spürte. Die erste Welle der Freude über ihre Errettung aus ungerechter Einkerkerung hatte sich in Ungewißheit, wenn nicht gar Furcht verwandelt. Ihnen stand jetzt der Dienst auf einem Schiff des Königs bevor, vielleicht für die Dauer von Jahren, und mancher von ihnen würde vielleicht nie wieder im Leben etwas anderes kennenlernen.
Die Annehmlichkeiten bequemer Unterkünfte und maßvollen Dienstes, verbunden mit guter Bezahlung und der Aussicht, am Ende jeder Reise zu den Lieben daheim zurückzukehren, war nun dahin. Ihr Groll stieß jedoch bei der Besatzung der
Hyperion
auf wenig Mitgefühl, denn die allgemeine Ansicht in der Navy und beim durchschnittlichen Seemann war: Warum sollen andere es besser haben als wir?
Bolitho aber bedrückte jede Art von Verstimmung, und so hatte er sich bemüht, die Leute zu beruhigen und ihre Vorurteile nach Möglichkeit zu zerstreuen. Daß ihm das mißlungen war, hinterließ bei ihm ein Gefühl der Müdigkeit und Verstimmung, obwohl er wußte, daß er durch seine persönlichen Probleme vielleicht daran gehindert gewesen war, die letzten Register seiner Überzeugungskraft zu ziehen.
Er wandte sich um und beobachtete die Midshipmen, die sich auf der Leeseite des Achterdecks versammelt hatten und mit mehr oder weniger großer Aufmerksamkeit dabei waren, als Gossett ihnen in der täglichen Unterrichtsstunde die Geheimnisse und Vorzüge des Sextanten zu erklären versuchte.
»Kommen Sie vor, Mr. Pascoe!« Die Stimme des Masters* klang rauh und leicht gereizt. Sicher dachte er schon an sein Mittagessen in der kühlen Offiziersmesse und an ein Gläschen hinterher. »Zeigen Sie uns, wie Sie damit umgehen.
«
Pascoe nahm den in der Sonne glitzernden Sextanten und schaute ihn nachdenklich an.
Gossett seufzte. »Verlorene Zeit!« Er winkte mit einer seiner großen Hände. »Mr. Selby, kommen Sie nach achtern und zeigen Sie es dem jungen Herrn, ich bin total fertig!«
Bolitho faßte das Holzgeländer der Leiter unbewußt fester, als er sah, wie sein Bruder das Deck überquerte und dem Jungen den * Der Master – etwa: Obersteuermann oder Navigationsoffizier – gehört zu den Deckoffizieren, die mit in der Offiziersmesse speisten Sextanten abnahm. Er war zu weit weg, um hören zu können, was er sagte, doch aus der aufmerksamen Miene Pascoes und seinem wiederholten Kopfnicken entnahm er, daß ihm die ruhig gegebenen Erklärungen eingingen.
Leutnant Stepkyne hatte die Wache und war der Unterrichtsstunde mit offenkundiger Ungeduld gefolgt. »Halten Sie sich damit nicht so lange auf, Mr. Selby!« Sein rauher Ton bewirkte, daß der Junge ihn beinahe haßerfüllt ansah. »Der Unterricht an Bord ist allgemein. Wir geben hier keine Privatstunden!«
»Aye, aye, Sir.« Hugh schaute nicht auf. »Tut mir leid, Sir.« Bolitho blickte sich nach dem Master um, aber Gossett war schon in Richtung Messe verschwunden.
Stepkyne schlenderte wie zufällig zu der Gruppe der zuschauenden Midshipmen hinüber. »Falls Sie überhaupt etwas davon verstehen.« Er lehnte sich zurück und musterte den Steuermannsmaaten Selby, wie ein Bauer auf dem Markt ein Stück Vieh mustert.
Pascoe sagte schnell: »Er hat es mir erklärt, Sir. Wie ein Offizier damit umgehen muß.«
Stepkyne wandte sich zu ihm um und schaute ihn überlegen an.
»So, hat er das getan?« Er lehnte sich wieder zurück »Wie ein Offizier damit umgeht? Woher – in Gottes Namen – wollen Sie das wissen, Mr. Selby?«
Bolitho sah die Midshipmen
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