Feind in Sicht
aufblickte, empfand er diesen unbekannten Toten gegenüber eine seltsame Dankbarkeit. Seine Aufgabe würde es sein, dafür zu sorgen, daß ihr Opfer nicht vergeblich gebracht worden war.
Neuigkeiten für den Kommodore
Der Marinesoldat salutierte stramm, als Bolitho in die Achterkajüte trat und die Tür hinter sich schloß. Alle Fenster waren weit geöffnet, und Decke und Wände waren mit Reflexen des bewegten Wassers draußen bedeckt. Die
Hyperion
rollte geruhsam vor Anker, und wenn er durch eines der Heckfenster blickte, sah er die nahe Halbinsel in der heißen Luft flimmern: grün, friedlich und ein starker Kontrast zu dem Anblick, den er auf dem Oberdeck gerade hinter sich gelassen hatte.
Durch die offene Tür zum Schlafraum hörte er Pelham-Martin rufen: »Nun, was haben Sie mir zu melden?«
Bolitho stützte sich auf den Schreibtisch und starrte mit leerem Blick auf das klare Wasser unterm Heck. »Zwanzig Tote, Sir. Zwanzig weitere schwerverwundet.« Es schien ihm wenig sinnvoll, die anderen zu erwähnen: die mit Fleisch wunden und Verbrennungen, oder jene, die taub geworden waren, vielleicht für immer.
»Verstehe.« Es war zu hören, wie Kisten über den Boden der Kajüte geschleift wurden, und dann trat Pelham-Martin mit schweren Schritten in die Reflexe des Sonnenlichts. »Was ist mit den Verwundeten? Werden sie sich erholen?«
Bolitho konnte ihn nur stumm anstarren. Die
Hyperion
hatte vor weniger als dreißig Minuten Anker geworfen, und während er das Zuwasserlassen der Boote überwacht und das Ausmaß der Schäden am Rumpf und in der Takelage abgeschätzt hatte, hatte sich der Kommodore anscheinend mit mehr persönlichen Problemen befaßt. Er trug seinen Paraderock, und sein weißes Hemd und seine weißen Breecheshosen sahen aus, als ob sie gerade vom Schneider gekommen wären.
Schließlich sagte Bolitho: »Meist sind es Splitterverletzungen, Sir, aber fünf haben Arme oder Hände verloren.«
Pelham-Martin betrachtete ihn ernst. »Nun, ich muß an Land und den Gouverneur dieser, äh, dieser Siedlung aufsuchen.« Er zupfte die Manschette seines Hemdes unter dem goldbestickten Ärmel hervor. »Notwendig, aber trotzdem verdammt lästig.« Er sah sich in der Kajüte um. »Sie bleiben besser hier und tun das Erforderliche, damit das Schiff wieder einsatzfähig wird.« Er ließ den Blick auf Bolithos zerrissenem Hemd ruhen. »Und ich würde vorschlagen, daß Sie auch etwas für Ihr Äußeres tun.«
Bolitho sah ihn kalt an. »Ich war der Ansicht, daß es zunächst Wichtigeres für mich zu tun gab, Sir.«
Der Kommodore hatte dafür nur ein Achselzucken übrig. »Diese Haltung führt zu nichts. Sie kannten das ungleiche Kräfteverhältnis, und dennoch haben Sie das Gefecht herausgefordert.«
»Wären wir eine Woche früher hier gewesen, Sir, wäre es gar nicht zu einem Gefecht gekommen, es sei denn, zu unseren Bedingungen.«
Der Kommodore betrachtete sich im Spiegel an der Schottwand.
»Mag sein.« Heftig drehte er sich nach Bolitho um. »Es ist uns jedoch gelungen, die Franzosen zu vertreiben, und ich werde dafür sorgen, daß Ihr Anteil daran in meinem Bericht berücksichtigt wird. Doch jetzt muß ich Sie verlassen. Wenn ich gebraucht werden sollte, schicken Sie ein Boot zur Stadt.« Er ging an ein Heckfenster und beugte sich hinaus. »Ich muß sagen, es lief nicht alles so, wie ich erwartet hatte.«
Bolitho sah ihn angewidert an. Es war überraschend, wie sehr Pelham-Martin sich seit Beendigung des Kampfes verändert hatte. Von dem verzweifelten, bleichen Mann in schwerem Bootsmantel war nichts übriggeblieben. Er wirkte kalt und unberührt und verriet sogar schon eine gewisse Erwartung, was die ferne Stadt ihm wohl bieten mochte.
Bolitho spürte, daß der Ärger in ihm brannte wie scharfer Schnaps. Wie konnte Pelham-Martin sich gerade jetzt so kalt und gleichgültig zeigen, obwohl das kleinste Zeichen von Mitgefühl und Verständnis von größtem Wert für die Leute gewesen wäre, die gegen eine so starke Übermacht gekämpft hatten? Auch wenn das holländische Schiff im richtigen Augenblick gekommen war, die Matrosen und Marinesoldaten der
Hyperion
hatten ihren Wert bereits bewiesen.
Er sagte: »Ich werde die Barkasse für Sie rufen lassen, Sir.« Pelham-Martin nickte. »Gut. Ein Glück, daß sie unbeschädigt geblieben ist. Ich war überrascht, daß Sie während der Kampfhandlung alle Boote an Bord ließen.«
Bolitho starrte wütend den breiten Rücken des Kommodore an.
»Der Wind war schon
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